Szene beim Ausflug mit dem Fahrrad: Eine kleine Steigung, zwei Frauen und eine Elfjährige mit Schutzhelmen kommen mir entgegen. Abgeschlagen hinter ihnen heulend, mit einem kleinen, vom Weinen geröteten Gesicht ein vielleicht Achtjähriger. Er schluchzt seinen Schmerz und seine Wut hinaus, dass die anderen nicht auf ihn warten und er nicht mithalten kann. „Da muss man durchgreifen!“ sagt ungerührt die eine Frau zur anderen. „Wenn der die Kraft zum Fahren nimmt, die er zum Weinen braucht, haben wir kein Problem mehr!“
Wer gemütlich durch die Landschaft radelt, kann sich so seine Gedanken machen. Meine kreisen um das Wort „durchgreifen“. Es hat einen martialischen Klang, möchte sich doch gleich mit „hart durchgreifen“ verbinden, am liebsten gegen Verbrecher, Asoziale, gegen all das, was sonst im Alltagsbehagen von leben und leben lassen untertaucht.
Wer durchgreift, der wartet nicht, bis etwas geschieht und er sich womöglich seiner Haut wehren muss. Nein, er rottet Gefahren an der Wurzel aus, beseitigt sie, ehe sie ihr Haupt erheben können. Er nimmt den Kollateralschaden in Kauf, dass seine Kontrollwut, sein Jagdeifer den Guten lästig werden, vorausgesetzt, die Bösen können sich auch dann nicht sicher fühlen, wenn sie (noch) gar nichts Böses tun.
Warum aber denkt eine Mutter, die neben ihrer großen Tochter und ihrer Freundin radelt, dass sie bei ihrem Sohn durchgreifen muss, der heulend hinterherstrampelt? Was ist seine Bosheit? Denkt sie, er könnte, wenn er nur wollte? Möchte sie durch die Oberfläche des jammernden Kindes hindurch greifen und seines Trotzes habhaft werden, seiner Verweigerung, die Zähne zusammen zu beißen und mitzuhalten um jeden Preis?
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