Kolumnen
Schreibe einen Kommentar

Wenn der Tagtraum zur Sucht wird

Verzicht fällt dem Menschen schwer; er gibt Wünsche ungern auf. Wenn er es tun muß, sucht er, sich zu entschädigen – er schafft sich ein Doppelleben, eine zweite Existenz, in der Wünsche erfüllt werden, ohne daß die Realitätsprüfung einschreitet. Unser Wissen, dass das alles nicht wirklich ist, beeinträchtig die Lust nicht, sondern gibt ihr nur eine andere Qualität.

Freud sagte: „Die Schöpfung des seelischen Reiches der Phantasie findet ein volles Gegenstück in der Einrichtung von ‚Schonungen‘, ‚Naturschutzpark‘ dort, wo die Anforderungen des Ackerbaues, des Verkehrs und der Industrie das ursprüngliche Gesicht der Erde rasch bis zur Unkenntlichkeit zu verändern drohen….Alles darf darin wuchern und wachsen, wie es will, auch das Nutzlose, selbst das Schädliche.“

Wenn ich mich an meine eigenen Tagträume als Pubertierender erinnere, sehe ich heute amüsiert, wieviel von dem Helfer-Thema, das mich später so beschäftigt hat, hier vorweggenommen und ins Grandiose verzerrt ist. Auf meinem recht weiten Schulweg in Passau pflegte ich, nachdem der Vormittag mit seinen sechs Unterrichtsstunden überstanden war, das Rad nach Hause zu schieben und zu träumen. Ich war meist damit beschäftigt, mir auszumalen, wie ich die Helden, die ich aus Abenteuerromanen oder Sagen kennengelernt hatte, aus Gefahren errettete.

Ich war also einerseits stärker als sie und ihnen überlegen, andererseits aber ihr Helfer und Beschützer, was den angenehmen Nebeneffekt hatte, daß ich sie auf diese Weise als Freunde gewann, was nicht gelungen wäre, wenn ich meiner Rivalität freien Lauf gelassen hätte. Das paßte natürlich zu meiner Rolle in der Familie – ich war der Kleinste, der jüngere Bruder, strebte also danach, die Großen gleichzeitig zu übertreffen und versöhnlich zu stimmen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert