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Empathie, ersehnt und überschätzt

Nietzsche wendet Schopenhauers Empathie-These in ihr Gegenteil: Weil das Leben zu bejahen sei, vermehre das Mitleid das Leiden in der Welt und stehe dem schöpferischen Willen entgegen, der immer auch vernichten und überwinden müsse – andere oder auch sich selbst.

Jeremy Rifkin behauptet in seinem 2010 erschienenen Buch „Die empathische Zivilisation“, es gebe etwas wie eine zwangsläufige Entwicklung zu einem globalen, von Einfühlung beherrschten Bewusstsein. Unser Einfühlungsvermögen habe sich über die Jahrhunderte hinweg entfaltet. Es wachse parallel zur kulturellen Entwicklung, werde immer vielfältiger und genauer auf die Individuen bezogen.
Ganz falsch ist das nicht, aber Rifkin unterschätzt die Macht der Gegenkräfte und die Tatsache, dass Einfühlung nur unter günstigen Bedingungen überhaupt funktioniert. Und er erinnert sich zu wenig an die Möglichkeiten des Missbrauchs der Empathie, auf die Bloch hingewiesen hat: Nazis sprechen betrügend, aber zu Menschen, die Kommunisten völlig wahr, aber nur von Sachen.

Denn weder Schopenhauer noch Nietzsche ahnten, welche Macht die Massenmedien im nächsten Jahrhundert entfalten würden und welche makabren Amalgame aus Übermensch- und Mitleidszenarien gerade die faschistische Propaganda erfinden würde: Deutschland als arme, geplagte, vom rassischen Untergang bedrohte Nation, die nach einem Retter schreit; das germanische Herrenvolk als Kulturträger und Sinnstifter.

Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen, ihre Stimmungen und Bedürfnisse zu erkennen, sie zu führen und zu verführen. Sie muss, ganz im Schopenhauerschen Sinn, durch die Maxime gezügelt werden, niemandem zu schaden und anderen Menschen soviel als möglich zu helfen. Ohne diese Zügel, die nicht aus ihr selbst kommen, kann sie dem Banker so gut nützen wie dem Psychotherapeuten: der eine verkauft dem Kunden, der sich in seinen Ängsten und Wünschen gut verstanden fühlt, eine faule Geldanlage, der andere hilft ihm aus seiner Depression.

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