Kolumnen
Kommentare 3

Heilig, still und sehr gefährlich

Weihnachtsglück und Weihnachtskatastrophe

Die Plagen von Abschied und Neubeginn

Psychoanalytisch gesehen, belehrt uns Weihnachten über die Plagen von Abschied, Trennung und Autonomie, gerade weil es das Fest ist, das traditionell einer Familie den stärksten Mythos des Zusammenhalts predigt. Ein Nebenschauplatz ist die Depression. Die langen Nächte des Winterhalbjahres kulminieren um diese Zeit; die Wintersonnenwende ist ein Hoffnungsschimmer, dass es wieder aufwärts geht – und zugleich ein Zeichen des Jahrswechsels, der Bilanzen, der Konfrontation mit nicht erreichten Zielen, mit ausgebliebenen Fortschritten, mit dem unvermeidlichen Älterwerden.
Eltern begegnen angesichts der Familiengründungen von Kindern, die nicht mehr mit ihnen Weihnachten feiern wollen, der eigenen Einsamkeit und oft genug der Tatsache, dass sich Frau und Mann nicht mehr viel zu sagen haben, wenn die Kinder nicht Leben in die Bude bringen. Da bleibt dann nur die Hoffnung auf die Enkel, aber Enkel sind angesichts geschwundener Geburtenfreude rar.

In der Vorweihnachtszeit kann üppiger Glühweinkonsum auf dem Christkindlmarkt so wenig wie das leuchtdiodenflackernde Rentiergeweih auf die Erleuchtung in den Kopf bringen, dass in der Konsumgesellschaft das zielsicher treffende, garantiert Glück weckende Geschenk nicht leichter zu finden ist als die Trüffel im Wald. Wie schön waren da die Hungerweihnachten, an die sich Oma und Opa noch erinnern, in denen ein Stollen, ein Teller Plätzchen, eine gebratene Taube wahre Freudenwunder wirkten!

Familie ist in einem verbreiteten Mythos der Ort, wo Menschen bedingungslos geliebt werden, akzeptiert, so wie sie sind, wo jeder jeden versteht, liebt und Rücksicht auf ihn nimmt. Es gibt Zyniker, die das schon immer geleugnet haben – Karl Kraus etwa, der seinen Einwand sprachökonomisch auf den Punkt brachte: „Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit.“ Es gibt Soziologen, die sich gegen diese Vereinfachung zur Wehr setzen und sagen, dass die Familie vor allem der Ort ist, an dem Kinder lernen, mit Konflikten umzugehen und Aggressionen in Beziehungen zu integrieren.

Das ist auf eine etwas andere Weise doch wieder mehr idealistisch als realistisch gedacht. Denn da sich Familie um die Pflege von Erotik und Babys herum organisiert, weckt jeder Konflikt neue Sehnsucht nach Versöhnung und Harmonie; inszeniert jeder Harmoniewunsch neue Konflikte. Das hängt damit zusammen, dass Familien nicht nur klein und mobil geworden sind, sondern auch in den letzten zweihundert Jahren die überraschende Aufgabe bekommen haben, dafür zu sorgen, dass Kinder anders werden als ihre Eltern.

In afrikanischen oder indischen Dörfern ohne Elektrizität und Straßenanschluss funktionieren Familien heute vielleicht noch so wie vor tausend Jahren: die Werkzeuge und die Kulturtechniken haben sich in dieser Zeit kaum verändert. Das gilt dann auch für die Erwartungen, die zwischen den Generationen kursieren. Zivilisierte Familien aber sollen die Kinder auf eine Welt vorbereiten und sie in diese entlassen, welche den Eltern fremd ist. Wenn nun diese Kinder in die Familie zurückkehren, bringen sie dieses Fremde mit nach Hause. Es muss integriert werden.

3 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert