Erschienen in: Stuttgarter Zeitung
Wer sich über die Qual der Wahl erregt oder gar unter ihr leidet, mag ein wenig Trost darin finden, dass es ihm gut geht. Not duldet kein Zögern. Das zeigt schon das Urbeispiel der Wahl-Qual, Buridans Esel. Die Denkfigur soll erläutern, dass es nicht möglich ist, eine logische Lösung zu finden, wenn wir zwischen zwei gleichwertigen Möglichkeiten wählen müssen. Ein Esel steht zwischen zwei gleich großen und gleich weit entfernten Heuhaufen. Er verhungert, weil er sich nicht entscheiden kann, welchen er zuerst fressen soll.
Dem Esel, muss man sagen, geht es zu gut. Die Qual der Wahl ist hier wie oft ein Luxusproblem. Unsere Emotionen sind auf das Leben in der Kultur der Jäger und Sammler zugeschnitten. Wer bei jeder Begegnung schnell herausfinden muss, ob er Beute machen oder zur Beute werden kann, quält sich nicht mit Entscheidungen. Er handelt und überlegt nachher (wenn er Glück hat), ob er richtig agiert hat.
Die Neigung, Situationen in zwei Hälften zu teilen, haben unsere Vorfahren in den Savannen erworben, in denen am Rand der Wälder der Affe zum Menschen wurde. Wenn ihnen ein Löwe begegnete, gab es eine klare Entscheidung: Alles war gut, was die Entfernung zur Gefahr vergrößerte. Schlecht war das Gegenteil. War es eine Antilope oder ein Baum mit reifen Nüssen, lag die Sache umgekehrt: Ja war alles, was sie der Beute näher brachte, nein war alles, was sie entfernte.
Unser Leben ist nicht so einfach, hart und gefährlich geblieben. Zur Kulturentwicklung gehört das Erstarken der Angst auf Kosten des Hungers. Der Steinzeitmensch erwacht und hat Hunger. Der Stadtmensch erwacht und hat Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen.
Glücklich die Menschen, die ihre Entscheidungen auch nachträglich gut finden. Ihre Zahl schwindet, je mehr entschieden werden muss. Wenn ich ein Schnäppchen gemacht habe, tue ich gut daran, eine Weile meine Augen vor Sonderangeboten zu verschließen: ich könnte ein besseres finden, Ärger nagt, die Unsicherheit wächst, ob ich meinen Entscheidungsaufgaben noch gewachsen bin. Und wer kennt nicht die Tischnachbarin, die nach langem Brüten über der Speisekarte endlich entschieden das Steak bestellt und nach dem zweiten Bissen mit Grabesstimme sagt: Ach, der Fisch wäre das Richtige gewesen!
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