Es gibt eine ganze Reihe von Beschäftigungen, deren Ansehen sehr viel geringer ist als ihre Beliebtheit: Pralinenessen, Seitensprünge, Komasaufen, Steuerschwindel, Blaumachen – und Rechthaben. „Reine Rechthaberei“, „Du willst immer nur rechthaben!“ „Dein sei das letzte Wort!“
Wer wie der Autor einen guten Teil seiner täglichen Arbeit mit Paaren verbringt, die ihre Liebesbeziehung als unbefriedigend und stressreich empfinden, hat auch täglich Anschauungsuntericht über Rechthaberei. Er bemerkt, dass die eigene Rechthaberei völlig unauffällig abläuft und gänzlich mit sich selbst einverstanden ist, bis sie mehr oder weniger schmerzhaft an die Rechthaberei des Partners stösst. Die eigene Rechthaberei ist eigentlich gar keine. Sie ist harmlose Belehrung über allgemein akzeptierte Wahrheiten, über längst bekannte und vom Partner früher doch auch durchaus zugestandene Banalitäten. Der Partner hat das nur vergessen oder verdrängt, wie die psychologiekundigen unter den Rechthabern sagen. Er weiss nicht mehr, was er gesagt und getan, was er verschwiegen und unterlassen hat. Es gibt Partner, die dann Tonaufnahmen vorschlagen, gar heimlich Gespräche aufzeichnen und mitbringen, um endlich Recht zu bekommen.
Als Kind bekam ich einmal ein „Geduldsspiel“ geschenkt, einen flachen Blechzylinder, gross wie eine Niveadose, oben mit Glas bedeckt, drinnen eine Zeichung mit winzigen Mulden für die in der Dose klappernden Kügelchen. Diese mussten durch vorsichtige Bewegungen genau an ihre Plätze in der Zeichnung gebracht werden und hatten die tückische Gewohnheit, den schon gewonnenen, korrekten Platz wieder zu verlassen, wenn ich zu hastig versuchte, ein noch frei herumrollendes Kügelchen unterzubringen. Zuviel Schütteln brachte alles durcheinander, zu wenig setzte nichts in Bewegung.
Die Rechthaberei erinnert ein wenig an dieses Spiel. Der Streit der Paare entspräche dann dem Schütteln, das die aufgestaute Wut des Spielers entlädt, wenn wieder einmal seine Hoffnungen gescheitert sind, einen Partner zu haben, der genau wunschgemäss funktioniert. Rechthaberei ist der Versuch, eine widerspenstige Wirklichkeit mit unserer Phantasie vom Guten, das sein soll, zusammenzufügen. Leider ist der Halt, den Sollen und Sein aneinander finden, meist sehr viel schwächer, als wir uns das wünschen.
Eine Frau hat sich ihren Mann ausgesucht, weil er so unbekümmert und zuversichtlich war, während sie sich eher als depressiv und ängstlich erlebt. Nach zehn Ehejahren gibt es viel Streit. Sie haben jetzt zwei Kinder und ein Haus. Er spielt gern mit den Kindern und geht ins Schwimmbad, trampelt mit seinen Gartenschuhen durch den eben geputzten Flur und meidet den Elternabend in der Schule wie die Pest. „Immer machst du alles dreckig. Was bist du für ein Vorbild für die Kinder!
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