Kolumnen
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Alte Hosen und leere Marmeladengläser

Natürlich haben alle Ladenbesitzer, Ladenbetreiber, Markenartikler und ihre PR-Leute Interesse daran, Konsummuffel als Geizkrägen abzubilden, die in der Zürcher Bahnhofstrasse die Lust auf den Kauf einer Uhr verlieren und lieber die ererbte Junghans noch einmal reparieren lassen. Aber sie irren sich. Geiz hängt damit zusammen, weder sich noch anderen etwas Gutes zu gönnen. Wer aber seine alten Sachen bewahrt und pflegt, gönnt sich etwas und ist oft auch bereit, anderen etwas abzugeben. Die Oma wäre sicher glücklich gewesen, ihrem Nachbarn aus einer Marmeladeglasverlegenheit zu helfen.

Das Thema prägt Generationen. Wenn jemand leere Marmeladengläser spült und aufbewahrt, ist er oder sie wahrscheinlich älter als ein Konsument, der sie in den Müll wirft. Und an diesem Detail können wir auch erkennen, wie lange es dauert, bis Erinnerungen an die schlechte Zeit, in der es zu wenig von allem gab, ihre Macht verlieren, wie tief sich ihr mögliche Wiederkehr in das Gedächtnis eingeprägt hat. Viele der Deutschen, die zwischen 1916 und 1956 die Einschränkungen der Kriegs- und Nachkriegswirtschaft erlebt haben, werden sich schwer damit tun, im Restaurant den Teller halb gefüllt stehen zu lassen oder altes Brot wegzuwerfen.

Diese Generation blickt mit Verwirrung und Scham auf die Entrümpelungs-Regeln, welche so pseudovernünftig daherkommen und zu einem beliebten Ratgeber-Thema geworden sind. Halten wir ein wenig dagegen: Es ist eine genauso blinde Regel, jedes Kleidungsstück wegzuwerfen, das länger als ein Jahr unbenutzt im Schrank hängt, wie alles aufzuheben, was man vielleicht, unbegrenzte Lebenszeit und radikal einsetzenden universellen Mangel vorausgesetzt, noch einmal brauchen könnte. Wer ideologisch nicht fixiert in sich horcht, wird die Scham über das viel zu lange bewahrte Nutzlose ebenso finden wie die Reue über das voreilig entsorgte Nützliche.

Die gehorteten Dinge sind real ohne Wert, eventuell aber ein Schatz. Sie spiegeln eine psychologische Wahrheit: wir können Möglichkeiten schlechter bewältigen, sie machen uns mehr Angst, als Wirklichkeiten. Auf der Bühne wird der Künstler ruhig; vor dem Auftritt aber zittert er und malt sich aus, was alles schief gehen könnte. Daher haften nur mögliche Gefahren, dass die schlechte Zeit wiederkommt, in unserem Gedächtnis oft länger als der schon so viele Jahre real erlebte Wohlstand.

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