Kolumnen
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Das Zwischenlager

Bisher hatte sie am Montag aufatmend das von ihm verursachte Chaos aufgeräumt und die Woche über so gelebt, wie es ihr gefiel, in ihrem Rhythmus, mit ihren Vorstellungen von Ordnung. Sie will sich nicht von Joseph trennen, aber sie will ihm nicht ständig seine Sachen hinterherräumen und sie verzagt, wenn sie daran denkt, dass sie sich jedes Mal mit ihm auseinandersetzen soll, wenn er wieder eines seiner Zwischenlager angelegt, das Bad im Chaos hinterlassen, seine Kleider im Schlafzimmer gehäuft hat. Früher gab es jedes halbe Jahr eine schreckliche Szene, weil Carla ihren aufgestauten Groll entlud und Joseph als Pasche beschimpfte, der eine Sklavin brauche, die ihm ständig seine Sachen hinterherräumen. Carla will solche Szenen nicht mehr. Aber sie will auch das gemütliche Gefühl nicht opfern, wenn die Wohnung so ist, wie sie es braucht. Joseph versteht nicht, was sie hat. Freut sie sich denn gar nicht, wenn er endlich wieder da ist, wenn er nicht mehr diese langen Zugfahrten jedes Wochenende auf sich nehmen muss? Kann sie ihm zuliebe nicht etwas weniger pingelig sein? Sie ist ja ein rechter Putzteufel geworden, seit sie allein lebt, aber sie wird sich schon wieder an ihn gewöhnen, sie weiß doch, dass er ein emanzipierter Mann ist, der selbst kocht und staubsaugt und mit seiner eigenen Wohnung immer gut klargekommen ist – natürlich war sie nie so perfekt, wie Carla das macht, aber das sind schließlich Kleinigkeiten.
Wenn Carla meinen Rat suchen würde? Strikte Reviere in der Wohnung (also kein gemeinsames Wohn- und Schlafzimmer), oder aber zwei getrennte Wohnungen in einem Haus. Das hört sich technisch an, enthält aber viel Psychologie: Respekt vor persönlichen Eigenheiten, realistisches Urteil über die Möglichkeiten, erwachsene Menschen zu erziehen und der Verzicht auf idealisierte Vorstellungen von Liebe.

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