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Wenn du mir fremd bist, lieb ich dich

Die seelischen Probleme der interkulturellen Partnerschaft

Auf den ersten Blick wirkt das Fremde oft nah – als sei es nur einen Schritt weit entfernt. Erst wenn wir diesen Schritt getan haben, erkennen wir, wie fremd es wirklich ist und wieviel uns noch zur Verständigung fehlt. Als Student lebte ich für eine Weile als Aussteiger in der Toscana und glaubte, wenn ich erst einmal besser italienisch spräche, wäre ich ganz wie meine Nachbarn. Es waren sehr gastfreundliche Menschen, offen und herzlich, ich litt sehr unter meinem Haschen nach verständlichen Worten und meinem Gestammel. Und so lernte ich den toscanischen Dialekt so [...]

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Die RAF, die Gnade und das Helfer-Syndrom

Auge um Auge, Zahn um Zahn, Gnade um Gnade – an diese archaische Formel fühlte sich erinnert, wer angesichts der Debatte im Jahr 2007 um die Begnadigung der RAF-Terroristen wiederholt (in der Bildzeitung, im Spiegel und bei Sabine Christiansen) dem Titel „Gnade für Gnadenlose?“ begegnete. Diese Formel hat mich zuerst verwirrt und dann empört. Denn Gnade ist keineswegs in einem Atem mit gerechter Strafe oder besser ausgewogener Rache zu denken, wie es solche Formulierungen nahelegen. Sie ist das Gegenteil von Rache und von Strafe. Wer fordert, dass die Gnadenlosigkeit eines Täters gegen die Gnade aufgerechnet wird, welche ihm gewährt wird, [...]

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Unsere Traumatisierten

Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble: Inwieweit bestimmen posttraumatische Reaktionen politische Entwicklungen?

Erbittert von Wolfgang Schäubles Vorschlägen zum Umbau des Rechtsstaates in eine Terrorbekämpfungsmaschinerie griff der Münchner Ex-Staatsanwalt und Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung Herbert Prantl zur Psychologie. „Seit dem Attentat vom 12. Oktober 1990 ist er an den Rollstuhl gefesselt. Wer jeden Tag die eigene körperliche Schwäche erlebt und sie zu überwinden versucht, der erträgt wohl die echten oder vermeintlichen Schwächen der Kollegen, aber auch die echten oder vermeintlichen Schwächen des Staates noch weniger als früher.“
Das Argument schlug Wellen. Die Bildzeitung sprach von einem „schweren Schreibunfall“. Schäuble selbst erklärte, „Es [...]

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Der Stoff aus dem Propheten sind

Sie brauchen die Schutzschicht ihrer Anhänger und kompensieren Mängel ihres Selbstgefühls

Das Bild der meisten Propheten ist durch Legendenbildung verklärt; wir wissen nur wenig von ihrem Leben, kennen ihre Lehre oft nur aus den Schriften ihrer Hörer. Da sie selten unsere Zeitgenossen sind, scheint es schwierig, aktuelle Beispiele für diese Dynamik zu finden.
Aber so schwer ist das gar nicht, wenn wir uns zugestehen, dass auch Erhabenes einmal trivial gewesen sein könnte. In der Tat gibt es Männer, die im 20. Jahrhundert mit prophetischem Anspruch aufgetreten sind und deren Analyse mir sehr aufschlussreich erscheint, auch wenn mir Kritiker vorwerfen werden, [...]

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Und sowas von müde…

Die Beschädigung der Eltern durch das Kind

Der 42jährige Florian ist ein erfolgreicher Jurist, Vater von zwei Töchtern im Kindergarten- und Grundschulalter. Er arbeitet in der Rechtsabteilung einer grossen Privatbank. Seine Frau Betsy ist ein Jahr jünger. Sie hat ebenfalls Jura studiert, aber wegen der Kinder ihre Stelle gekündigt; sie macht jetzt eine Ausbildung als Heilpraktikerin. Sie engagiert sich sehr für Homöopathie, seit sie durch eine solche Behandlung von einem hartnäckigen Hautauschlag befreit wurde.

„Wir sind mit unserer Ehe am Ende“, sagt Betsy. „Florian war ein aufgeweckter Kerl, ein richtiges Energiebündel, als wir uns kennenlernten. Und jetzt kommt er nach [...]

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Die Zerrissenheit des Migranten und die Sehnsucht nach dem Märtyrertod

Das Video ist professionell gemacht. Kurz vor der Explosion wird die Tele-Optik auf Weitwinkel gestellt, um die Druckwelle und die Staubwolke der Explosion in ihrem ganzen Umfang zu sehen. Vorher hat die Kamera den Weg eines mit sprengstoffgefüllten Säcken beladenen Toyota-Pickup zu einem amerikanischen Militärstützpunkt verfolgt, hat gezeigt, wie ein ganzer Strang von Zündkabeln mit Isolierband zusammengehalten und in die Fahrerkabine geführt wird, hat den selig lächelnden Fahrer erklären lassen, er werde bald als Märtyrer im Paradies sein. Wer die Sekunden zwischen dem Erscheinen der Rauchwolke und dem Krachen der Explosion zählt, findet heraus, dass die Kameraleute rund zweitausend Meter von ihrem Kameraden entfernt waren, dessen Tod sie preisen.