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Feste Bindungen

Aber wer sich immer trennt, wenn es wieder die „richtige Beziehung“ nicht war, gerät in eine ähnliche Leere wie der ungeduldige Fernsehzuschauer, der seine Abende zu Fragmenten von Bildfolgen zerzappt. Wer sich entwickeln will, muss lernen, bei einem Menschen zu bleiben und die Formel von den guten und schlechten Tagen nicht als Fessel, sondern als Chance zu begreifen. Die Beziehung organisiert sich auf einem gleichzeitig höheren und tieferen Niveau, wenn eine Eifersuchtskrise verarbeitet, eine Aggression gegen den Partner zugelassen und durchgestanden werden konnte.

Wer sich tiefer einlässt, muss zwangsläufig mit Enttäuschungen fertig werden und die Illusion der Verliebtheit aufgeben. In diesem Prozess wird die Bindung vom Ideal zur Wirklichkeit, von der moralischen Forderung zur emotionalen Basis. Die vielleicht stolzeste Leistung dieser gemeinsamen Entwicklung eines Paares ist es, dem Partner seine Untreue zu verzeihen, zu erkennen, dass er in Unwesentlichem fremdgegangen, im Wesentlichen aber geblieben ist. Der typische Eifersuchtskonflikt dreht dieses Verhältnis um: dann ist alles Wesentliche verloren gegangen. Mit dem Rest kann niemand leben.

Wie viele kostbare menschliche Qualitäten ist auch die Bindung durch ihre falschen Freunde mehr bedroht als durch ihre energischen Feinde. Diese falschen Freunde sind die starre Pflicht, der soziale Zwang, die moralische Sanktion. Es sind jene innere Trägheit und geistige wie emotionale Ödnis, die einen Treuedünkel begründen können, obwohl sie in Wahrheit nur die Unfähigkeit zur Initiative ausdrücken.

Wer zu einer erfüllten Gefühlsbeziehung gar nicht in der Lage ist, dem kommt es zupass, seine Unbeweglichkeit als Treue auszugeben. Aber auf diese Weise wird die Treue selbst mit Langeweile und einem Entwicklungsdefizit verknüpft, die sie freudlos machen. So bleibt sie als leere Hülle bestehen. In der therapeutischen Praxis lernt man nicht selten Menschen kennen, die jeder festen Beziehung ausweichen, weil sie als Kinder einem solchen „treuen“ Elternpaar ausgeliefert waren. Zuerst scheint es rätselhaft, weshalb sie derart wohlgeordnete Familienverhältnisse nicht zu mehr Zuversicht für die eigene Partnerschaft inspiriert haben. Aber bei genauerem Hinsehen erkennt man hinter dem Schleier der Norm die Normopathie der Eltern, ihre Unfähigkeit, sich miteinander zu entwickeln, sich aneinander zu freuen, ihre Beziehung zu erfüllen. Dem Kind muss dann die Ehe wie eine Fallgrube erscheinen, aus der es nur den Ausweg in ein Gefängnis gibt.

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