Vortrag
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Vom Hexenschuss zum Bandscheibenvorfall oder: Der zerstückelte Schamane

Dieser Text wurde auf der Tagung „Gesund-Sein aus Bewußtsein“, 3.-5. April 2009 in der Akademie Tutzing vorgetragen. Es geht darin um die (Un)Möglichkeit, in der modernen Gesellschaft zu einer „ganzheitlichen“ Heilkunde zu finden.

Brauner Biber, ein Jäger vom Stamm der Kwakiutl-Indianer, schleppt sich zu Quesalid, dem Schamanen des Stammes. Er ist ganz plötzlich, als er sich zu einer seiner Fallen bückte, von einem Zauberdorn getroffen worden. Ein stechender Schmerz macht ihn seither fast bewegungsunfähig. Er muss von seiner Frau gestützt werden, die ihn auf seinen Jagdgängen begleitet.

Brauner Biber ist sehr bekümmert. Der Schmerz hindert ihn, seine Fallen so gut zu beaufsichtigen, wie er es gewöhnt ist. Nur wenn ihm das gelingt, kann er sicher sein, dass ein seit langem von der Sippe gehütetes Revier in seiner Hand bleibt und nicht der schon immer neidische Clan seiner Nachbarn zum Zuge kommt.
Brauner Biber hatte gedacht, den Biber- und den Wolfsclan zu versöhnen, als er heiratete, denn seine Frau gehörte zu den Wölfen. Aber die Ehe hatte ihm keine Sicherheit gegeben. Er fragte sich oft, ob seine Frau wirklich zu ihm halten oder ihren Brüder verraten würde, wo seine Fallen lägen. Der Reichtum einer Sippe liegt in den Fellen, die ein aufmerksamer Jäger zusammentragen kann.
Quesalid kennt diese Geschichte so gut wie jeder in der kleinen Siedlung am Flussufer. Der Streit zwischen dem Biber- und dem Wolfs-Clan geht schon lange zurück; immer wieder gab es Rituale der Versöhnung und neue Auseinandersetzungen, wenn beispielsweise ein Hochwasser oder ein waldverwüstender Orkan den Lauf der Bäche und den Zugang zu den Jagdrevieren veränderten. Dann mussten die Clanältesten in langen Palavern schlichten.

So entschloss sich Quesalid, die Behandlung von Brauner Biber mit dieser Geschichte zu verbinden und den Versuch zu unternehmen, den kranken Jäger mit dem Wolfsclan und mit seiner Frau zu versöhnen. Einer seiner Lehrer hatte ihm erklärt, dass Menschen durch Hexendorne verwundbar werden, wenn sie einen heimlichen Groll in sich tragen; lächelnd hatte er noch hinzugefügt, ob sich Quesalid schon mit dem Wissen vertraut gemacht habe, dass die meisten bösen Würmer und Dornen in unserem Leib nicht aus der Ferne kommen, sondern aus der Nähe, gar der nächsten Nähe, wie sie zwischen Mann und Frau sei. Er müsse nur daran denken, wie viel schmerzhafter Bogen und Blasrohr auf kurze Entfernung treffen.

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