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Dr. Schreck und Dr. Glück

An einem Dienstag im Februar 2014 wurde ein niederländischer Facharzt für Neurologie wegen schwerer Körperverletzung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er habe Jahre lang bei vielen Patienten willkürlich schwere Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson diagnostiziert, befand das Gericht. Er habe sie mit Medikamenten versorgt, die sie nicht brauchten und schmerzhafte diagnostische Eingriffe (wie Punktionen des Rückenmarks) durchgeführt, die nicht angezeigt waren. Eine Patientin beging nach einer falschen Diagnose Suizid, eine andere wurde durch eine fehlerhafte Punktion gelähmt und starb kurze Zeit danach.

Trotz unwiderleglicher Beweise für seine falschen Schreckensdiagnosen behauptete Ernst J.S. durchgängig, er habe sich nichts vorzuwerfen und nach bestem Gewissen gearbeitet. Was in dem Mann vorging, der den Prozess mit unbewegter Miene verfolgte, ließ sich nicht aufklären. Zu vermuten ist, dass er sich selbst ebenso belogen hat wie das Gericht und seine Patienten.

Es ist eine alte Weisheit, dass Macht stets die Verführung mit sich bringt, sie zu missbrauchen. Das gilt auch für die Macht der medizinischen Diagnose über die Psyche von Arzt und Patient. Der verurteilte Neurologe war sozusagen süchtig nach einem Modell, ärztliche Macht zu missbrauchen, die im Alltag meist viel harmloser, sozusagen provisorischer auftritt, in ihren seelischen Folgen aber ebenfalls große Belastungen erzeugt.

Ein Arzt kann Dr. med sein, Dr. Glück und Dr. Schreck. Dr. med erledigt seine Arbeit, fügt niemandem überflüssige Schmerzen zu, achtet stets darauf, dass der Nutzen für den Patienten im Vordergrund steht und sein eigenes Gewinnstreben und Geltungsbedürfnis nachrangig bleiben. Dr. Glück gleicht meinem Ex-Zahnarzt, der mir, auf Zahnfleischbluten hingewiesen, tröstend sagte, ganz normal, bei anderen sei das viel schlimmer – bis ich von einem Dr. med erfuhr, dass ich an einer heftigen Parodontose litt. Über Dr. Schreck habe ich oben geredet; derart krasse Fälle sind aber nur die Spitze des Eisbergs.

Eine Schwangere kommt verstört vom Frauenarzt. Dieser hat bei der Ultraschalluntersuchung einen Schatten im Gesicht des Ungeborenen entdeckt. Es könnte, sagt er der Mutter, eine Missbildung sein. Er schlägt eine Spezialuntersuchung mit einem höher auflösenden Gerät vor. Die werdende Mutter ist erschüttert, verängstigt, verbringt schlaflose Nächte, grübelt über Abtreibung, über die Ehekrise durch ein behindertes Kind.

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