Alle Artikel mit dem Schlagwort: Freud

Die Zukunft hat viele Illusionen.

Selten ist in einer Schrift gelassener und gleichzeitig rücksichtsloser über Religion diskutiert worden als in Sigmund Freuds 1927 erschienener Schrift „Die Zukunft einer Illusion“. Verglichen mit dem wenige Jahre später erschienen Essay über „Das Unbehagen in der Kultur“ wirkt Sigmund Freuds religionskritischer Essay optimistisch. Hier steht die berühmt gewordene Formulierung: „Wir mögen noch so oft betonen, der menschliche Intellekt sei kraftlos im Vergleich zum menschlichen Triebleben, und Recht damit haben. Aber es ist doch etwas Besonderes um diese Schwäche; die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat.“

Über weite Strecken hin führt [...]

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Die Geschichte der Psychotherapie

Es mag mit meinem frühen Interesse für (Kunst)Geschichte zusammenhängen, das schon während meiner Gymnasialzeit entstand, dass für mich die Geschichtsforschung immer die beste Möglichkeit ist, einen Gegenstand kennenzulernen. So hat mich die Geschichte der Psychotherapie schon beschäftigt, als ich selbst noch nicht praktisch in diesem Feld arbeitete, sondern zwischen Deutschland und Italien ein Wanderleben als Journalist und Autor führte. Aus diesen Interessen, die damals zu einigen Veröffentlichungen in Fachzeitschriften (z.B. über Schamanismus und Psychotherapie, über archaische Riten und Gruppenpsychotherapie) führten, entstand der Gedanke, ein Buch über die Geschichte der Psychotherapie zu schreiben. Der erste Titel „Psychotherapie – Ihr Weg von [...]

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Wenn der Tagtraum zur Sucht wird

Verzicht fällt dem Menschen schwer; er gibt Wünsche ungern auf. Wenn er es tun muß, sucht er, sich zu entschädigen – er schafft sich ein Doppelleben, eine zweite Existenz, in der Wünsche erfüllt werden, ohne daß die Realitätsprüfung einschreitet. Unser Wissen, dass das alles nicht wirklich ist, beeinträchtig die Lust nicht, sondern gibt ihr nur eine andere Qualität.

Freud sagte: „Die Schöpfung des seelischen Reiches der Phantasie findet ein volles Gegenstück in der Einrichtung von ‚Schonungen‘, ‚Naturschutzpark‘ dort, wo die Anforderungen des Ackerbaues, des Verkehrs und der Industrie das ursprüngliche Gesicht der Erde rasch bis zur Unkenntlichkeit zu verändern drohen….Alles [...]

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Kleists Narzissmus

Vortrag auf der Jahrestagung der Heinrich-von-Kleist Gesellschaft in Berlin, November 2008

Jemanden wie Heinrich von Kleist würde man heute in die Psychiatrie stecken. Schon als Kind sei er, so ist es überliefert, ein nicht zu dämpfender Feuergeist gewesen – man hätte ihm heute das Zappelphilippsyndrom zugeschrieben, und Pillen gegen ADHS hätte er bekommen, um den krassen Wechsel zwischen Hyperaktivität und Depressivität ins Flussbett der Gewöhnlichkeit hineinzudämmen. Aber könnten wir dann dieses grandiose dichterische Werk bewundern?

So schreibt der Germanist Hermann Kurtze in einer Sammelrezension neuer Kleist-Biographien. Ich widerspreche dem. Kleists Verhalten wäre gegenwärtig nicht unproblematisch, gewiss. Vielleicht würde er wie [...]

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Freuds Dilemma

In diesem Buch geht es um die Spannung zwischen wissenschaftlicher Fundierung und künstlerischer Praxis der Psychoanalyse bzw. der Psychotherapie. Sie wird an einer kunsthistorischen Fehlleistung Freuds aufgezeigt.

Dieser hat den Gegensatz der Skulptur, die durch Wegnehmen arbeitet, gegenüber Plastik und Malerei, die etwas hinzufügen, nicht – wie es richtige wäre – mit Michelangelo, sondern mit Leonardo da Vinci verknüpft. Es lässt sich nachweisen, dass ein mit der Metapher des „Wegnehmens“ (der Psychoanalyse) und „Hinzufügens“ (der Suggestion und stützenden Behandlung) formulierter Gegensatz keineswegs so klar ist, wie ihn Freud mit rhetorischen Kunstgriffen zu formulieren suchte. Erst wenn wir diesen Schematismus überwinden, [...]

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Der Mensch Sigmund Freud

Warum noch eine Freud-Biografie? Von Jones bis Gay und Clark haben die Biografen Freud mit den Instrumenten seiner eigenen Methode erfasst. Sie haben den Ödipuskomplex gedeutet und seine Selbstanalyse übernommen.

Aber die Psychoanalyse hat sich weiterentwickelt. So will ich versuchen, Freud neu zu sehen. Ich will ihn anders sehen, als er selbst sich sehen konnte, denn er hat zwar den Begriff des Narzissmus eingeführt, aber nur sehr wenig davon auf sich selbst und sein Verhalten zu den Schülern angewandt. Ich hoffe auf diese Weise das Verständnis dafür zu vertiefen, warum die Psychoanalyse durch Freud so geschaffen wurde, wie es geschah.[...]

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Freuds Utopie und die Aktualität der Psychoanalyse

Zum 150. Geburtstag von Sigmund Freud

Freud wurde am 6. Mai1856 geboren, im Todesjahr von Heinrich Heine. Seine Jugend in Wien war von einer Epoche bestimmt, in der die Utopie einer friedlichen, von Wissenschaft und Bildung getragenen, liberalen und multikulturellen Gesellschaft zum Greifen nahe schien. Seit 1848 hatte sich die Lage der Juden in der Donaumonarchie stetig verbessert, um 1867 waren alle Reste rechtlicher Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit beseitigt worden (die bis dahin beispielsweise jüdische Hebammen in nichtjüdischen Haushalten verboten). Juden waren wählbar, sie stellten Bürgermeister der liberalen Partei, „jeder fleissige Judenknabe (trug) also das Ministerportefeuille in seiner Schultasche“, wie [...]

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