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Kann keine Trauer sein

Zunächst litten die Kinder unter dieser Leere und Freudlosigkeit, ohne zu erfassen, womit sie zusammenhing. Das änderte sich aber, sobald sie erwachsen wurden und begannen, ihre Eltern kritischer zu sehen. Ich erinnere mich, wie ich in den 70er- und 80er-Jahren als Selbsterfahrungsgruppenleiter und Therapeut diese weit verbreitete Haltung meiner Klienten übernahm und nicht nach Verständnis für die traumatisierten Eltern suchte, sondern sie an der Seite meiner Klientinnen und Klienten entwertete.

Wenn die traumatisierte Generation der in NS-Zeit und Krieg Erwachsenen von ihren herangewachsenen Kindern (aus denen schließlich die 68er wurden) in verschiedenen Schattierungen entwertet, verachtet oder ignoriert wurde, zeigt das auch, dass die Kinder selbst wenig Einfühlung erfahren hatten und dies den Eltern mit gleicher Münze zurückzahlten. Tatsächlich werden in Berichten der Kriegs- und Nachkriegskinder über ihre Väter sadistische Impulse deutlich, die sich gegen die kindlichen Gefühle richten. Ein solcher Soldatenvater beobachtete, wie seine Tochter in der Zeit der Lebensmittelmarken nach dem Krieg drei Scheiben trockenes Brot aß, um die vierte endlich „richtig“ mit der wenigen Wurst bestreichen zu können, die ihr zugeteilt war. Er nahm ihr die aufgesparte Wurst weg, verschlang sie selbst und sagte zu dem weinenden Mädchen: „Du hast drei Scheiben trocken gegessen, da kannst du die vierte auch noch so essen.“

Die traumatisierten Väter unterstellen die eigene Gier und bekämpfen diese durch „pädagogisch“ verordnete Askese, die sie durch erlittene Not rechtfertigen. Dahinter steht der Neid innerlich beeinträchtigter Menschen auf die Glücksfähigkeit, die naive Lust und Zuversicht des Kindes, das noch glauben kann, dass sein Projekt, sich ein Minidrama von Genuss durch Verzicht zu inszenieren, Erfolg haben wird. Die traumatisierten Eltern machten häufig die eigenen Erfahrungen einer bösartigen Führung, zum Erziehungsprinzip. Was ihnen geschah, können sie ihren Kindern gar nicht früh genug vermitteln. Sie meinen, ihnen so die eigenen Erfahrungen, die sie aufgrund ihrer Naivität machen mussten, ersparen zu können. Von ihnen müssen die in Sicherheit aufwachsenden Kinder lernen, den besten Bissen zu verschlingen, ehe ihn jemand wegschnappt. Sie reden sich Sadismen schön. Sie wappnen ihre Kinder gegen die eigene Vergangenheit und geben das als Vorbereitung auf die Zukunft aus.

Es gibt im Leben keine Gerechtigkeit! Die traumatisierten Eltern konnten ihre Kinder nicht ungestört in Frieden und Wohlstand hineinwachsen lassen. Sie bereiteten sie mit subtilen Mahnungen, offenem Druck und persönlichem Vorbild darauf vor, Traumatisierungen vorwegzunehmen und sich auf sie einzustellen. Der Sturz nach dem nationalen Höhenflug hatte die Eltern unvorbereitet getroffen, schockiert und überfordert. Sadistische Gesten sollten jetzt dem Wohl der Kinder dienen, die so dem Leben gewappnet entgegentreten würden.

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