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Stalking und andere Phantasiebeziehungen – Der Liebeswahn heute

Dieser Beitrag entstand für das Programmheft zu Händels Orlando an der Komischen Oper Berlin

Der Vampir-Mythos spiegelt die Kompromisslosigkeit der narzisstischen Störung. Wer gebissen wurde, hat nur die Wahl, zu sterben oder ein Untoter zu werden wie die anderen Vampire. Ähnlich beobachtet der Analytiker von Partnerschaften, in denen ein Teil diese narzisstische Störung mitgebracht hat, die Macht der seelischen Infektion. Oft heilt nicht die Liebe des Gesünderen den Kranken, im Gegenteil: der Gestörte hat den Gesunden so sehr mit Eifersucht und Entwertung geplagt, dass dieser beginnt, mit Waffen zurückzuschlagen, die er dem Aggressor abgeschaut hat. Am Ende wird es für Dritte zum Rätsel, welche teuflische Macht zwei einst liebend Verbundene veranlasst, sich das Leben gegenseitig zur Hölle zu machen.

Die rasende Sehnsucht, welche der Dichter schildert – ist sie Erinnerung an leibhaft Besessenes oder Suche nach Ausgleich für seelische Verletzung? Die Erfahrungen aus der Paartherapie weisen in die zweite Richtung. Menschen, die sich in aussichtslosen Liebschaften verzehren, wollen nicht einen Zustand wiederherstellen, den sie einmal besaßen. Sie entwickeln die süchtige Suche nach der perfekten Liebe, weil sie die Liebe nie kennen gelernt haben.

„Es darf doch nicht wahr sein“, scheint sich das verletzte Selbst zu sagen, „dass mir etwas fehlt, was vorhanden sein müsste! Ich muss es haben, es muss da draußen sein, es ist da, aber es weigert sich, es kommt nicht, es müsste kommen, es wird kommen, wenn ich ihm nur nachdrücklich genug vermittle, dass es kommen muss!“ Diese „Vermittlung“ der eigenen narzisstischen Bedürftigkeit an das zu ihrer Erfüllung „verpflichtete“ Selbstobjekt gestaltet die Dynamik des Stalking.

Stalker sind meist Männer. Der Liebeswahn von Frauen hingegen entfaltet sich in der Regel weniger zudringlich. Er verweilt in der Phantasie, in elaborierten Tagträumen, deren Zusammenprall mit der Realität sorgfältig vermieden wird. Während sie realen Beziehungen aus dem Weg gehen und eine materielle Erfüllung ihrer Sehnsucht immer unwahrscheinlicher wird, leben sie in ihren Phantasien mit einem Mann, mit Kindern, in Hoffnungen, die sie aber ängstlich abweisen, wenn sie sich zu sehr der Realität nähern.

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