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Heilig, still und sehr gefährlich

Weihnachtsglück und Weihnachtskatastrophe

Wenn sich einer ein rotes Auto gekauft hat, sieht er für eine Weile viel mehr rote Autos parken oder fahren. Dem Autor, der einen Auftrag zu einem Thema hat, geht es nicht anders. Seit ich etwas Analytisches über Weihnachten schreiben soll, kriechen die Weihnachtsgefahren aus allen Ritzen. In Talkshows treten Glücksforscher auf, die bezeichnenderweise im Nebenberuf Kabarett machen (oder umgekehrt). Sie stellen fest, Glück beruhe darauf, dass Erwartungen erfüllt werden, und warnen vor überhöhten Ansprüchen an die fröhliche, selige Zeit.

Notärzte sagen, sie hätten um den 24. Dezember herum besonders viel zu tun, und es seien beileibe nicht nur die tückischen Augenverletzungen durch einen Sektkorken, der weniger festsitzt, als der prüfende Blick eines Flaschenschüttlers erwartet hat. Unglück entsteht, denke ich mir, wenn Erwartungen – endlich springt der Stöpsel aus der Flasche – zwar erfüllt werden, aber ins Auge gehen.
Ein Strafverteidiger behauptet, Weihnachten sei für Familienmuffel in seiner Berufsgruppe ideal, weil es da notrufmässig immer etwas zu tun gäbe. Meine Therapeutenkollegen sagen schon seit Jahren, die Adventstage seien die schlimmsten des Jahres; nie gäbe es so viele Kränkungen und Schuldgefühle zu bearbeiten, so viele über den Mangel an Glück und Harmonie unter dem Lichterbaum enttäuschte Gemüter zu trösten.

Das Phänomen mit den roten Autos entspringt übrigens der gleichen Wurzel wie der weihnachtliche Glücksdruck: Menschen hungern nach sozialen Erfahrungen, welche sie in ihrem Werterleben bestätigen. Weihnachten ist eine solche Erfahrung. Es ist der Event der Kindheit, das Familienfest an und für sich, Jesu Geburtstagsfeier, große Freude für Hirten auf dem Felde und alle übrigen auch. Psychoanalytiker sprechen von Regression, wenn sich Erwachsene zu Kindern machen. Weihnachten ist das Fest der Regression schlechthin. Und das Bibelwort, dass jene, die werden wie Kinder, in das Himmelreich eingehen, garantiert kein störungsfreies Weihnachten, wenn sich alle nur kindisch aufführen nach dem Motto: ich will ja nur das Einfachste von der Welt, dass alles so wird, wie ich es mir vorstelle.

Man wird doch fragen dürfen, weshalb Menschen an Weihnachten Familienmitglieder um einen Lichterbaum versammeln möchten, denen sie das Jahr über wenig zu sagen hatten, um ihnen dort Geschenke auszuhändigen, mit denen diese nichts anfangen können, um schließlich der Kränkung anheimzufallen, dass es an den richtigen Gegengeschenken mangelt. Aus Paartherapieen sind mir Ehemänner in Erinnerung, die mit Gold und Brillianten den Trotz ihrer Frauen zu brechen suchten, welche sich zu Weihnachten „nichts außer einer guten Beziehung“ zu wünschen pflegten, worauf dann das Friedensfest doch wieder in Streit und Besäufnis endete. Ebenso unvergessen ist mir jene depressive und überfürsorgliche Mutter, die noch zwanzig Jahre später ihrem Sohn im Brustton der Selbstgerechtigkeit vorwarf, er habe es vorgezogen, am heiligen Abend nicht die Familie mit seiner Anwesenheit zu beehren, sondern lieber mit Obdachlosen in seiner Studentengemeinde zu feiern, und zwar ohne ihr das zu sagen.

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