Artikel
Schreibe einen Kommentar

Helfersyndrom reloaded

Was ich mit dem Ausdruck vom „Helfersyndrom“ meinte, war immer nur ein Motiv unter mehreren verschiedenen, freilich auch eines, das aufgrund seiner Verbindung mit Verdrängungen und unbewussten Abwehrmechanismen für emotionale Konflikte und psychohygienische Probleme im helfenden Beruf besonders wichtig werden kann. Aber menschliche Hilfsbereitschaft ist ein viel weiteres Feld; wir beobachten sie bereits bei kleinen Kindern, die gar keine neurotischen Konflikte haben können, welche denen des Erwachsenen vergleichbar sind.

Die Problematik des Helfersyndroms, des Helfens aus einer unbewussten Abwehr heraus, hängt damit zusammen, dass andere Erlebnisformen vermieden und die Welt zwanghaft auf das Helfen eingeengt ist, nicht selten auf Kosten der Einfühlung: Der hilflose Helfer gleicht einer überbeschützenden Mutter, die ein Kind, das längst essen kann, immer noch füttert.

Die meisten helfenden Berufe entstanden erst im 20. Jahrhundert; sie haben sich mühsam professionalisiert und sind zum Teil unterprivilegiert. Allein im Sektor der freien Wohlfahrt existieren über 80.000 Einrichtungen (Kindergärten, Erziehungsheime, Jugendhäuser, Krankenhäuser, Behindertenheime, Sozialstationen, Beratungsstellen, Einrichtungen der Altenhilfe) mit etwa einer knappen Million hauptberuflicher Mitarbeiter. Demgegenüber beschäftigte Deutschlands Schlüsselindustrie, der Kraftfahrzeugbau, im Jahre 1995 gerade 650.000 Personen. Beim größten Trägerverband, der Caritas, arbeiten 430.000 Mitarbeiter, mehr als bei VW oder Mercedes.
Das „Helfer-Syndrom“ betrifft Einstellungen, die sich als Abwehr einer gesteigerten Verletzbarkeit entwickelt haben. Abhängigkeit und Bedürftigkeit werden an Schützlinge delegiert; der Helfer fühlt sich nicht wohl, wenn er nicht gibt, was ja auch bedeutet, der Stärkere, der Überlegene zu sein, der eine Beziehung kontrolliert. Erlebnisse frühkindlicher Kränkung werden durch hohe Ziele in der Arbeit kompensiert; Rechthaberei, starre Ideale und angstvolle Vermeidung von „schwachen“ Positionen sind die Folgen.

An dieser Dynamik hat sich nichts Grundsätzliches geändert. Aber die psychosozialen Instrumente, mit denen wir auf sie reagieren, haben sich seit 1977 weiterentwickelt. Damals waren Selbsterfahrung und Sensitivitätstraining die einzigen Instrumente, um die emotionalen Probleme der helfenden Rolle zu reflektieren. Die damals populären Bewegungen der Gruppendynamik überschritten in den achziger Jahren ihren Höhepunkt und differenzierten sich. Es kam vermehrt zu esoterischen, aber auch zu strikter berufsbezogenen Weiterbildungsangeboten für die helfenden Berufe. Zu diesen neuen reflexiven Verfahren gehört auch die seit 1989 in einem nationalen, später in einem europäischen Fachverband, institutionalisierte Supervision.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert