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Kleists Narzissmus

Der Narzissmus kann also nur indirekt erforscht werden: in der organischen Krankheit, in der Hypochondrie und im Liebesleben. Jeder körperlich Kranke zieht seine Libido auf sein Ich zurück und besetzt die Umwelt erst wieder, wenn er geheilt ist; Freud zitiert hier Wilhelm Busch’s Beschreibung des Zahnschmerzkranken aus „Balduin Bählamm“:

„Denn einzig in der engen Höhle
Des Backenzahnes weilt die Seele!“

Die Hypochondrie wurde im 18. Jahrhundert vielfach als „männliche Hysterie“ beschrieben.  Freud konstruiert eine Systematik, wonach die Hypochondrie narzisstische Ängste, Hysterie und Zwangsneurose hingegen neurotische Ängste spiegeln. Er sagt: – „ein starker Egoismus schützt vor Erkrankung, aber endlich muss man beginnen zu lieben, um nicht krank zu werden, und muss erkranken, wenn man infolge von Versagung nicht lieben kann.“
In dieser frühen Formulierung sind „Egoismus“ und „Narzissmus“, die heute durchweg unterschieden werden, für Freud also noch so bedeutungsähnlich, so dass er ganz unbefangen den alltagsnahen Begriff verwendet.
Am wichtigsten ist aber die dritte Beobachtung Freuds: Er geht davon aus, dass der Säugling sein Liebesobjekt den Erlebnissen von Bedürfnisbefriedigung entnimmt. Die Mutter oder Amme, welche das Kind versorgt, ist auch das erste Liebesobjekt; eine Beziehung aufgrund von Bedürfnisbefriedigung nennt Freud die Liebeswahl vom Typus der Anlehnung, gegen die er nun die speziell narzisstische Liebeswahl abgrenzend setzt.
Diese beruht darauf, dass Personen, deren Libidoentwicklung gestört verläuft, sich selbst zum Liebesobjekt wählen. Freud nennt hier in erster Linie „Perverse und Homosexuelle“, ergänzt aber, dass beide Typen allen Menschen zur Verfügung stehen. Nach dem narzisstischen Typus der Objektwahl liebt man

    a) was man selbst ist (sich selbst), – das würde Freud auch Egoismus nennen,
    b) was man selbst war, – hierher gehört Oscar Wildes Erzählung vom Bildnis des Dorian Gray ebenso wie die klinischen Beobachtungen an Patienten, die ständig über einen verlorenen Zustand des eigenen Seins klagen – etwa über die verlorene Jugend,
    c) was man selbst sein möchte, – hier spielen elterliche Aufträge mit, ein Held, eine Prinzessin zu werden, um Vater oder Mutter zu trösten, aber auch eigene Entwürfe, die Freud wenig später das „Ich-Ideal“ nennt,
    d) die Person, die ein Teil des eigenen Selbst war.

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