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Kleists Narzissmus

Ein weiterer überlieferter Text aus Kleists Feder ist ein Dokument schwärmerischer Symbiose, ein Zeichen, wie er im gemeinsamen Tod das glückliche Familienleben herbeiträumt, das er so vergeblich ersehnt hat. Er schreibt an Henriette:

„Du lieber Liebling meines Herzens, mein Höchstes und Theuerstes, mein Alles und Jedes, mein Weib, meine Hochzeit, die Taufe meiner Kinder, mein Trauerspiel, mein Nachruhm. Ach Du bist mein zweites besseres Ich, meine Tugenden, meine Verdienste, meine Hoffnung, die Vergebung meiner Sünden, meine Zukunft und Seligkeit, o Himmelstöchterchen, mein Gotteskind, meine Fürsprecherin und Fürbitterin, mein Schutzengel, mein Cherubin und Seraph, wie lieb ich Dich!“

Henriette Vogel teilte diese manische Stimmung; in ihren letzten Zeilen an den Familienfreund und Kriegsrat Peguilhen tritt uns etwas von der belle indifference entgegen, die im 19. Jahrhundert als Persönlichkeitsmerkmal der Hysterie beschrieben wurde. Eine Hysterika berichtet über die schrecklichsten Symptome und Erlebnisse so, als hätte sie soeben eine Praline verzehrt. Ähnlich schreibt Henriette an den Freund: „..denn wir beide, der bekannte Kleist und ich, befinden uns hier bei Stimmings auf dem Wege nach Potsdam in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen daliegen und nun der Güte eines wohlwollenden Freundes entgegenblicken, um unsere gebrechliche Hülle der sicheren Burg der Erde zu übergeben.
Am 21.11.1811 tötete Heinrich von Kleist zuerst Adolphine Sophie Henriette Vogel durch einen Schuss ins Herz; dann sich selbst durch einen Schuss in den Kopf. Die beiden waren tags zuvor angereist und im Wirtshaus ‚Neuer Krug‘ des Wirtes Stimming abgestiegen. Die Nacht verbrachten sie mit dem Schreiben von Abschiedsbriefen.
Am Nachmittag speisten Kleist und Henriette Vogel ein letztes Mal. Den Kaffee liessen sie sich in eine Bucht am See bringen. Dort waren Bäume gefällt und die Wurzelstöcke ausgegraben worden, so dass windgeschützte Vertiefungen im Erdreich entstanden. Henriette und Kleist setzten sich in eine  einander gegenüber und tranken Kaffee. Kleist schickte die Kellnerin fort, eine weitere Tasse zu holen. Während sie ging,  hörte sie zwei Schüsse fallen.

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