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Kleists Narzissmus

Solche Beobachtungen legen nahe, dass das Zusammentreffen von Kleist und Henriette Vogel das gemeinsame Ende beschleunigte und die ambivalente Qualität des Todeswunsches unterdrückte. Henriette Vogel verband sich mit Kleist in dem Bestreben, den narzisstisch motivierten Suizid als höhere, moralischere Entscheidung zu rechtfertigen und in ihm die eigene Grandiosität ein für alle Male gegen alle inneren und äusseren Zweifel zu behaupten. Die letzten Briefe von Kleist und Henriette Vogel sprechen für eine manische Hochstimmung. Sie wollten sich „wie zwei fröhliche Luftschiffer …über die Welt …erheben“.
Adolfine Sophie Henriette Vogel, geborenen Keber war die Frau des Generalrendanten der kurmärkischen Landfeuersocietät und Landschaftsbuchhalters Friedrich Ludwig Vogel. Sie hatte eine kleine Tochter und lernte Heinrich von Kleist 1809 durch dessen Freund Adam Müller kennen. Henriette wird als begabte, vielseitig interessierte, aber in sich zerrissene Person dargestellt. Ob ihre Beschwerden hysterisch waren oder auf einer Krebserkrankung beruhten, wird sich nicht mit letzter Sicherheit klären lassen. Es ist auch keine entweder-oder-Frage; ähnlich wie Kleist spielte auch Henriette mit ihrer Todessehnsucht und idealisierte den Todesgefährten mehr, als das einem Lebensgefährten gegenüber möglich ist.
Das Verhältnis zwischen beiden wurde im Herbst 1811 inniger, blieb aber schwärmerisch und mied erotische Nähe. Da Henriette Vogel einen qualvollen Tod fürchtete, äußerte sie öfter den Wunsch, zu sterben, wagte aber nicht, sich selbst das Leben zu nehmen. Anscheinend richtete sich der Vorwurf, sie in diesem Weg aus dem Leben nicht genügend zu unterstützen, auch gegen ihren Ehemann. Als sie den Tod gefunden hatte, verteidigte Friedrich Ludwig Vogel die Tat Kleists.
Henriette und Heinrich unternahmen in ihren letzten Briefen grosse Idealisierungsanstrengungen. Kleist belehrt seine Cousine Marie, dass die neue Freundin alles übertrifft, was er bisher kennengelernt hat:

„..daß ich eine Freundin gefunden habe, deren Seele wie ein junger Adler fliegt, wie ich noch in meinem Leben nichts Ähnliches gefunden habe, die meine Traurigkeit als eine höhere, festgewurzelte und unheilbare begreift und deshalb, obwohl sie Mittel genug in Händen hätte, mich hier zu beglücken, mit mir sterben will; die mir die unerhörte Lust gewährt, sich um dieses Zweckes willen so leicht aus einer ganz wunschlosen Lage wie ein Veilchen aus einer Wiese herausheben zu lassen; die einen Vater, der sie anbetete, einen Mann, der großmütg genug war, sie mir abtreten zu wollen, ein Kind, so schön und schöner als die Morgensonne, nur meinetwillen verläßt: und Du wirst begreifen, daß meine ganze jauchzende Sorge nur sein kann, einen Abgrund teif genug zu finden, um mit ihr hinabzustürzen.“

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