Vortrag
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Kleists Narzissmus

Garderegiment ein und schloss die Ausbildung als Sekondeleutnant 1797 ab, gerade zwanzig Jahre alt.
Es ist typisch für die Ruhelosigkeit des gestörten Selbstgefühls, das nach Grandiosität oder Verschmelzung mit einem Liebesobjekt hungert und ohne sie nicht leben kann, dass sich Kleist mit dem langsamen Gang und den strikten Verpflichtungen einer militärischen Laufbahn nicht abfinden konnte. Er nahm 1799 den Abschied, sehr zur Enttäuschung seiner Familie, um an der Universität seiner Vaterstadt ebenso eifrig wie ziellos  zu studieren. Nach drei Semestern brach er auch das Studium ab und wollte im August 1800 in Berlin eine Anstellung als Beamter finden.
Er hatte sich mit Wilhelmine von Zenge verlobt und wünschte sich möglichst schnell eine heile Familie und Kinder,  bald auch ein Leben auf dem Land im Stile von Philemon und Baucis, vielleicht um den frühen Verlust an Geborgenheit auszugleichen. Aber es zeigte sich, dass sein Selbstgefühl dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Er konnte die Beziehung nicht geniessen, sondern quälte sich und seine Braut mit ständigen Versuchen, sie zu „erziehen“.
Das Scheitern dieses wie aller folgenden Liebesversuche zeigt den inneren Druck und die Unfähigkeit des Dichters, Beziehungen zu festigen und zu entwickeln. Er verliebte sich heiss, stellte höchste Ansprüche an sich und die Geliebte oder auch den Freund, aber es gelang ihm nicht, sich selbst und seine Liebesobjekte auf längere Sicht gut genug zu finden.

In der Narzissmuspsychologie spricht man hier von der Sehnsucht nach einem Selbstobjekt – einer idealen Person, im Stande, alle schmerzlich erlebten Defizite des eigenen Selbstgefühls auszugleichen. Einer der letzten Briefe an Marie von Kleist, elf Tage vor seinem Freitod, formuliert diesen Seelenzustand:
..meine Seele ist so wund, daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir daraufschimmert. Das wird mancher für Krankheit und Überspanntheit halten; nicht aber Du, die fähig ist, die Welt auch aus anderen Standpunkten zu betrachten als dem Deinigen. Dadurch, daß ich mit Schönheit und Sitte seit meiner frühesten Jugend an in meinen Gedanken und Schreibereien unaufhörlichen Umgang gepflogen, bin ich so empfindlich geworden, daß mich die kleinsten Angriffe, denen das Gefühl jedes Menschen nach dem Lauf der Dinge hinieden ausgesetzt ist, doppelt und dreifach schmerzen.“

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