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Innenansichten zum Amoklauf

Die eleganten Killer bevorzugen kleine Kaliber, wie die 22er, sie sind ihres Ziels sicher. Wer in die Stirn trifft oder ins Herz, der braucht keine schwere Munition. Jeden Abend, über deinem Katalog, sammelst du deine Schutzengel um dich und lässt noch einmal Gnade vor Recht ergehen gegen deine Feinde. Was soll deine Lieblingswaffe sein? Der zuverlässige, langsame Revolver? Da gibt es keine Ladehemung, jeder Narr weiss, ob er die Waffe gesichert trägt oder der Hahn schon gespannt ist und bei der leisesten Berührung losgeht. Eleganter, flach am Körper zu tragen, schneller in der Schussfolge, aber auch empfindlicher ist die Automatik. Sie spuckt leere Hülsen aus – schlecht, wenn du nicht entdeckt werden willst, denn der Schlagbolzen deiner Waffe signiert jede Patrone. Eine Maschinenpistole, ein Feuerspeier, eine Uzi oder Kalaschnikow wäre das Höchste. Aber da ist schwer dranzukommen. Da kannst du in fünf Minuten ein kleines Vermögen an Munition verballern. Du kannst sie nicht alle haben. Die Tokarev und der der Yugo-Coltnachbau und die Munition unter der losen Diele sind immerhin ein Anfang. Wenn du dich nicht gut fühlst, reicht es schon, in den alten Steinbruch zu fahren, die Waffe im Rucksack. Wo der Schall von den Büschen verschluckt wird, kannst du die Automatik heben und abdrücken. Das ist besser, als das Messer in einen Baum zu werfen.

Was vor deinen Lauf kommt, gehört dir. Niemand weiss, wie gefährlich du bist, und das ist auch gut so. Niemand darf wissen, was da unter dem losen Brett versteckt ist. Wenn dich jemand nicht respektiert, ist das viel gefährlicher für ihn, als er das weiss. Dich beruhigt es. Du fühlst dich gross und gütig, du hättest ihn zehn Tode durch zehn Waffen sterben lassen können und hast ihm zehnmal das Leben geschenkt. Er soll es nicht zu weit treiben. Du bist friedlich, so lange deine Sammlung wächst. Sie ist, so tödlich jedes Stück ist und so wichtig es dir ist, dass es töten und wie es töten kann, ein Lebenswerk, ein System aus Nerven und Dingen, das sich in verschiedene Richtungen ausbreitet, das dir Wissen bringt und Fertigkeiten – Messer zu schärfen, Ziele zu treffen, Schwarzpulver zu mischen, Bomben zu bauen -, das dich tröstet und beruhigt. Irgendwann, wenn die Wachstumsbedingungen zu schlecht werden, wenn der Druck unerträglich wird, wenn dir jemand deine Waffen wegnehmen will und die Kränkungen nicht mehr in der Phantasie ausgeglichen werden können, zerbricht etwas. Die tödlichen Werkzeuge werden nicht mehr vermehrt. Es gibt keinen Ausweg mehr, keine Ablenkung. Deine Waffen werden stärker als dein Wille, zu überleben. Nimm eine, nimm die beste, keiner anderen steht es zu, mach Schluss.

Amokabwehr

Die Amokabwehr in malaischen Dörfern bestand in einem gegabelten, mit Widerhaken versehenen Gerät an einer Stange, das es erlaubte, den mit einem Dolch bewaffneten Täter zu Boden zu werfen und dort so lange festzuhalten, bis er entwaffnet war und zu Besinnung kommen konnte. Die Möglichkeiten, sich gegen Amoktäter zu wehren, die mit Schusswaffen ausgerüstet sind, sind weniger augenfällig, aber sie existieren. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der Lehrer, der den Amoklauf von Robert Steinhäuser in Erfurt beendete, indem er den Täter mit seinem Namen ansprach und aufforderte, ihn zu erschiessen. Dadurch erwachte der Amokläufer aus seiner Rollentrance als Kämpfer. Er musste sich entscheiden, einen persönlich bekannten Menschen wieder in eine Spielfigur zurückzuverwandeln und töten, oder jetzt aufzugeben.

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