Aufsaetze
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Verkehrsunfall im Jemen

Seit dem Unfall war kaum mehr als eine Viertelstunde vergangen. Auf dem Flug hatte ich in der Bordzeitschrift von Yemenia – der landeseigenen Fluglinie – von einem Chirurgen aus Mainz gelesen, der seit vielen Jahren den Jemen medizinisch unterstützt, durch Landminen verletzte Kinder operiert und jetzt von Präsidend Ali Abdullah Saleh mit einem Orden ausgezeichnet worden war. Er hatte in einem Interview gesagt, dass der Aufbau eines Netzes von Ambulanzen mehr Leben retten könnte als der Bau neuer Krankenhäuser. So wusste ich, dass es im Jemen keinen Rettungsdienst gibt.
Was funktioniert, sind persönliche Hilfsbereitschaft und Improvisation. In dem vollbesetzten Polizeiwagen war kein Platz für eine Schwer- und drei Leichtverletzte. So wurde der Fahrer eines Zivilwagens gewonnen, der ein Werkzeug des Wahlkampfs von der Hauptstadt nach Sa’dah überführen sollte. Und wie der Mann aussah und wohin er reiste, das sprach alles dafür, dass er zur islamistischen Partei des Nordens gehörte. Sa’dah ist eine Hochburg der Zaiditen, die – den Wahabiten in Saudi-Arabien vergleichbar – einen strengen, dem Westen ablehnend gegenüberstehenden Islam vertreten. Sie stellen im Jemen die erzkonservative Opposition zu einem konservativen Präsidenten.
Wenn ich dem Vorurteil anhinge, dass der Islam irgend etwas mit Terror zu tun hat und die Rhetorik von Osama Bin Laden etwas mit einem frommen Muslim, wäre ich gar nicht in den Jemen gereist. Frömmigkeit ist im Jemen so selbstverständlich, wie sie es in Bayern im 18. Jahrhundert war, als auch dort noch 80 Prozent der Menschen auf dem Land lebten. Und unter den Pflichten des frommen Muslim ist die Hilfsbereitschaft viel wichtiger als der beschrieene Dschihad. Sie ist eine der fünf Säulen des Islam, neben dem Glaubensbekenntnis, dem Gebet, dem Fasten und der Wallfahrt nach Mekka.
In den nächsten Tagen zu erleben, wie der blutende und humpelnde Fremde mit liebevoller Rücksicht behandelt wird, wie man nach Kräften für ihn sorgt und die sonst lästige, bei der herrschenden Armut verständliche Erwartung eines Bakschisch völlig verschwindet, das steigerte den schon auf dem Markt in der Tihama gewonnenen Eindruck. Während uns vor der Abreise in Deutschland alle möglichen Menschen vor den gefährlichen Jemeniten gewarnt hatten, die an nichts anderes denken als unschuldige Touristen als Geiseln für finstere Zwecke zu missbrauchen, kann ich mich nicht erinnern, nach einem Unfall jemals einem solchen Mass von uneigennütziger Hilfsbereitschaft begegnet zu sein.
Kaum sassen wir in seinem Wagen, war der alte Mann auch schon unser Beschützer. Er gab uns sauberes Trinkwasser. Sobald er bemerkt hatte, dass U.s Schmerzen sich bei jeder Erschütterung ins Unerträgliche steigerten, fuhr er langsam und brachte uns vorsichtig über Bodenschwellen und durch Kurven. Als das Polizeiauto, das uns vorangeeilt war, zurückkam und auf ein höheres Tempo drängte, schrie er energisch durch das Fenster hinüber, bis sie ihn verstanden hatten und Ruhe gaben. Als am Schlagbaum vor Sa’dah die Miliz uns stoppen wollte, kämpfte er dafür, dass es zügig weiterging und setzte sich durch.

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