Aufsaetze
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Verkehrsunfall im Jemen

AlSalam-Hospital

Sa’dah duckt sich heute nicht mehr, wie es in älteren Reisebeschreibungen steht, hinter einen intakten Wall aus Lehm. Zwar ist es immer noch möglich, auf der Stadtmauer wie auf einem mehrere Meter breiten Damm um das alte Sa’dah herumzuwandern. Das dauert nicht mehr als eine knappe Stunde. Aber diese Mauer trennt nicht mehr die Stadt von der Wüste, sondern die alte Stadt von der neuen, von Hochhäusern aus erdbebenfestem Beton, Sportplätzen, Tankstellen und Handelsniederlassungen.
Die alten Häuser mit ihren weichen Formen, den hochgezogenen Ecken und den asymmetrisch angelegten Fenstern erinnern an den europäischen Jugendstil. Man kann sich kaum sattsehen an ihnen und bedauert, dass heute soviel Müll soviel widerstandsfähiger ist als früher. Scherben und Dosen im Staub, Plastiktüten wie Blasentang in den Dornbüschen.
Das Krankenhaus AlSalam liegt in der Neustadt, in Richtung der alten Türkenfestung, neben der zwei halb verscharrte und verrostete Panzer mit Konservendosen als Regenschutz vor den Kanonenmündungen die osmanische Burg um ein Stück kriegerischer Moderne ergänzen. Es sind um grüne Höfe angelegte, weitläufige, einstöckige Gebäude hinter roten Gittern, vor denen sich Männer, Frauen und Kinder schon in den frühen Morgenstunden drängen, über ihnen ein grosses Plakat, auf dem ein Würdenträger aus Saudi-Arabien dem Päsidenten Ali Abdullah Saleh die Hand reicht.
Vor uns öffneten sich die Tore, die Bewaffneten traten zurück, das Auto hielt vor der Notaufnahme, einem Raum mit vier durch grüne Vorhänge abgetrennten Pritschen, auf die wir uns legen sollten oder gelegt wurden. Zu jedem gesellte sich eine Schwester, welche Personalien aufnahm – zu mir eine porzellanschöne Asiatin, die fliessend Englisch sprach und mir, nachdem ich ihr meinen Namen gesagt hatte, den Arzt ankündigte. Auch dieser kam sofort, erkundigte sich nach den Symptomen, verordnete eine Tetanusspritze (anstandslos zurückgenommen, als ich beteuerte, ich sei geimpft) und Jod für die Schürfwunden; dann sollte die Schwester mich zum Röntgen bringen.
Die Klinik ist materiell karg, aber personell reich versorgt – motivierte, intelligente, aufmerksame Personen aus vielen Nationen; ich habe neben einigen offensichtlich asiatischen Schwestern und Pflegern länger mit einem ägyptischen Chirurgen gesprochen, der bereits sechs Jahre hier arbeitete, und einen philippinischen Röntgenologen kennengelernt, der mein ramponiertes Handgelenk schöner fotografierte als die Spezialisten in dem grossstädtischen Krankenhaus, die ich eine Woche später zur Nachkontrolle und zum Wechsel des Verbandes aufsuchte.
Ich blieb längere Zeit im Röntgenraum, denn nach mir wurde U. hereingeschoben. Sie musste an vielen Stellen durchleuchtet werden; so blieb ich bei ihr, half den Assistenten, versteckte mich neben einer schlanken Asiatin, welche hinter einer Mauer die Impulsstärke einstellte, vor dem Fallout der Strahlenquelle und stand U. bei, so gut ich konnte. Ich war heilfroh, sie lebend hier zu sehen, und wollte abwarten, was der Röntgenarzt sagte.

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