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Burnout in der Psychotherapie

Beitrag zu dem von Otto Kernberg u.a. herausgegebenem Band "Wir Psychotherapeuten", Stuttgart 2004

Er fordert von seinen Freunden ein Übermaß an Schonung und Rücksicht, weil er sich in seinem Beruf so verausgabt; er klagt eine problem- und konfliktlose Familie ein, weil er während seiner Arbeit ständig mit Familienkonflikten und menschlichem Leid zu tun hat.
Der Perfektionist geht mit seiner Rolle als Beziehungshelfer so um, daß er versucht, die hohen Ideale seiner beruflichen Arbeit auch in seinem Privatleben zu verwirklichen. Er kann sich nicht gegen die Forderung abgrenzen, daß ein Therapeut ein vollkommener Mensch sein muß, gegen Sätze, die mit der Formel beginnen: Sie (oder Du) als Psychologe, Therapeut, Arzt müßten doch…..Dem Perfektionisten scheint es unmöglich, zu akzeptieren, daß auch der engagierte und gut ausgebildete Therapeut nicht vor neurotischen Symptomen, psychosomatischen Krankheiten oder familiären Konflikten geschützt ist. Er wird in dieser Haltung von einer Öffentlichkeit unterstützt, deren geheime Hoffnung auf einen allmächtigen Tröster und Ratgeber leicht in den Impuls umschlägt, den kranken Arzt oder den geschiedenen Familientherapeuten zu steinigen. Der Perfektionist hängt eng mit dem Opfer des Berufs zusammen; beide Reaktionstypen können sich auseinander entwickeln. Beispielsweise kann der Perfektionist, der das Scheitern einer engen Freundschaft erlebt hat, über sich selbst so enttäuscht sein, daß er sich gänzlich auf den Beruf konzentriert: Ein Gärtner oder Ingenieur ist nicht deshalb schlecht qualifiziert, weil seine Ehe scheitert oder seine Kinder in der Schule durchfallen. Der professionell mit Ehetherapie oder Erziehungsberatung beschäftigte Therapeut wird in solchen Situation in eine Selbstwertkrise geraten, die auch seine Professionalität beeinträchtigen kann. Er wird sich beispielsweise nicht in der Lage fühlen, mit seinen Klienten jene Themen zu bearbeiten, die er selbst nicht ausreichend bewältigt zu haben meint. Ein Beispiel ist die übergewichtige Therapeutin, die nicht wagt, die Eßproblematik einer Patientin anzusprechen, oder der selbst migränekranke Analytiker, der sich scheut, einen Patienten mit psychosomatischen Kopfschmerzen in Behandlung zu nehmen. Ich pflege solchen Perfektionisten die Geschichte dieses Analytikers zu erzählen, der einem Patienten, der ihn wegen Depressionen und Migräneanfällen aufsuchte, in Bezug auf die Migräne eine schlechte Prognose stellte. Bei den Depressionen könne er eher mit einem Behandlungserfolg rechnen. Nach einem halben Jahr kam der migränekranke Patient zu seinem migränekranken Analytiker und berichtete stolz, er habe alle Kopfschmerzmittel weggeworfen, er brauche sie nicht mehr. „Wirklich“, sagte der Analytiker und konnte es kaum glauben, denn seine eigenen Kopfschmerzanfälle hatten zwei Lehranalysen getrotzt.
Die psychischen Folgen einer perfektionistischen Einstellung zur Therapeutenrolle sind Selbstzweifel und Depressionen bis zur akuten Suizidalität. Während in anderen Berufen private Krisen – wie ein Partnerschaftskonflikt oder Verhaltensauffälligkeiten der Kinder – durch eine intakte berufliche Identität erträglich gehalten werden können, fühlt sich der Perfektionist durch sie ganz und gar entwertet.
Der vierte Reaktionstypus ist der Pirat. Während das Opfer des Berufs sein Privatleben opfert, der Spalter es abtrennt, der Perfektionist es denselben strengen Gesetzen unterwirft wie sein berufliches Handeln, zieht der Pirat persönlichen Gewinn aus den emotionalen Beziehungen, die durch seine Arbeit als Therapeut zustandekommen.

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