Kolumnen
Schreibe einen Kommentar

Nie mehr allein mit Bäumen

Mittelalterlichen Städte hatten die Natur ausgegrenzt. In den vier Fresken, die Ambrogio Lorenzetti von 1337-1339 im Rathaus von Siena über die gute und die schlechte Regierung malte, sehen wir auch die frühen Vorstellungen über diesen Gegensatz. Da ist die Stadt, ein Gebilde aus Türmen, Mauern und Straßen; draußen das Land mit Hügeln und Bäumen. Lorenzettis Bilder sind nicht nur eine kunsthistorische Rarität, denn es gibt kaum weltliche Fresken aus dieser Zeit. Sie symbolisieren die getrennten Welten von Stadt und Land.

In der Neuzeit fielen die Stadtmauern. Der beschützte, kultivierte Raum war so gewachsen, dass ein romantischer Wunsch nach Bäumen, Wiesen und Sträuchern entstand. Die Menschen sehnten sich nach einer künstlich-anmutigen Wildnis, die anders war als die geometrischen Beete und zu Kugeln oder Würfeln gestutzten Bäume der französischen Gärten. Der Park brachte Natur in die Stadt, frei von der Zweckmäßigkeit der Äcker, der in Reih und Glied wachsenden Forste. Vor allem in Wien, das sich gegen die Türkenangriffe mit riesen Wallanlagen geschützt hatte, zeigen die Parks an den Ringstraßen bis heute, wie profitabel für die Bürger der neue Dialog zwischen Stadt und Natur wurde.

Im Park begegnete der Besucher den Bäumen, den Wiesen und dem Himmel. Er war ihnen ausgesetzt, ob sie ihn nun störten oder beruhigten. Er war allein mit ihnen. Nichts und niemand wollte etwas von ihm; es gab hier keine Möglichkeit, sich wichtig zu machen, die eigene Geltung zu steigern, Geschäfte zu fördern oder Familienkonflikte zu klären.
Die Mutter, die ihren Kinderwagen in den Park schob, der Mann, der seine Sportschuhe schnürte und seine Fitness erprobte, sie waren auf sich selbst gestellt, ihren eigenen Gedanken ausgeliefert, befreit von ihrem sozialen Leben draußen. Sie konnten beten, meditieren, oder gar nichts tun. Sie durften, aber sie mussten mit sich klarkommen. Wenn sie an andere Menschen dachten, mussten sie den Gedanken zu Ende denken, die Gefühle zu Ende fühlen – sie konnten nicht anrufen, eine Textbotschaft schicken, eine Beziehung klären.

Das Telefonieren im Park heißt, dass das Soziale in einer Weise überhand genommen hat und unentrinnbar geworden ist, die dem Zeitreisenden ungesund erscheint. Es sollte doch Zeiten gaben, in denen beziehungsmäßig einfach gar nichts passiert. In denen es nur einen Baum gibt, aber keine SMS. In denen man sich nur der eigenen Existenz vergewissern kann und nicht mit unsichtbaren elektronischen Tentakeln nach anderen greift oder sich von diesen packen lässt. Wir alle wollen Liebe und Aufmerksamkeit, aber gerade weil dieses Bedürfnis so mächtig ist, wäre es doch heilsam, es sich nicht ständig zu erfüllen. Sozialfasten im Park? Dann muss das Smartphone zuhause bleiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert