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Ein Sommernachtstraum als Paartherapie

Essay für das Programmheft der Salzburger Festspiele

Das Rätsel der Wirkung Shakespeares ist ein Rätsel der Jugend. Er schrieb, als die (bürgerliche) Welt noch ganz jung war. Das moderne Ich erschuf sich in diesen Jahren selbst, die Naturwissenschaft baute die ersten Instrumente, um sich auf den Weltmeeren zurecht zu finden, der befreit denkende und fühlende Mensch machte sich zum Kritiker der Religion und bald auch der feudalen Ordnungen. Und dieses Ich entdeckt die Liebe. Dieses ist das vielleicht wichtigste Zeugnis Shakespeares. Die Liebe ist eine Kraft, die Traditionen sprengt – aber sie ist auch gefährlich. Sie kann das Ich erheben und vernichten. Dieses Ich verliert sich in der Liebe. Es verzweifelt an ihr, es erschafft sich aus ihr, reift an ihr, scheitert an ihr. Es setzt sich, am deutlichsten in Romeo und Julia, über die Grenzen hinweg, die von der feudalen Gesellschaft aufgerichtet wurden.
Auch der ungefähr gleichzeitig mit Romeo und Julia entstandene Sommernachtstraum beginnt in einer von den Eltern und ihren Normen kontrollierten Welt. Im ersten Akt versucht der Herzog von Athen vor seiner eigenen Hochzeit mit Hippolyta, der Königin der Amazonen, einen Liebesstreit zu entscheiden. Er urteilt ganz im Sinne des Egeus, des Vaters der schönen Hermia, die den falschen Mann liebt und den richtigen heiraten soll. Wenn sie nicht pariert, sagt Theseus, wird Hermia ins Kloster gesteckt! Entweder die Liebe, wie von Papa verordnet, oder gar keine! Ein paar Tage Bedenkzeit kann sie haben.

So beschließen Hermia und ihr Liebster Lysander auszureißen, verfolgt von Demetrius, dem vom Vater ausgewählten Verlobten, den wiederum Helena, Hermias Freundin begehrt. Sie geraten in ein Zauberreich, das mit ganz anderen Mitteln arbeitet als die Elternwelt – nicht mit Verbot und Klostermauer, sondern mit einer magischen Tinktur, aus einer Blüte gebraut, die einmal vom Pfeil Cupidos getroffen wurde. Auf die Augen eines Schlafenden geträufelt, hat ihr Nektar die Kraft, unwiderstehliches Begehren zu wecken. Wen auch immer der erste Blick des Erwachenden trifft – er ist fortan das einzige Ziel jeder Aufmerksamkeit und Begierde.

Die Herrscher über dieses Reich sind Oberon und Titania, Elbenfürsten, nicht nur unsterblich, sondern auch für immer jung und schön, dennoch aber nicht über den gemeinen Ehestreit erhaben. Es geht um ein Kind in Titanias Gefolge, das Oberon beansprucht und Titania nicht herausrücken will. Das ist sehr prophetisch aufgefasst, denn in der Tat produziert die menschliche Verliebtheit, wenn sie dem Rachen des Löwen und der Feindschaft der Eltern entgeht, die nächste Krise aus ihrer eigenen Erfüllung: das Kind.

Moderne Ehen scheitern entweder am Alltag, an der Langeweile, oder an der Geburt eines Kindes, das in der festen Ordnung der Tradition noch als unentbehrlicher Kitt erlebt wurde, heute aber die Kränkungsverarbeitung der Paare auf harte Proben stellt. Wem gehört das Kind? Wem gehört die Liebe? Können die Partner sie teilen, oder beginnen sie zu rivalisieren? Wo die Ehe nicht mehr zwei Sippen verbindet, sondern zwei Individuen, bedeutet das Kind Gewinn und Verlust zugleich. Verliebte lesen Wünsche von den Augen ab; ein Baby schreit und reißt die Eltern aus ihren Hoffnungen auf erotische Erfüllung, auf eine Stärkung des Selbstgefühls ohne Kosten und Verluste.

Postverliebte Zustände sind grausam, sobald sie nicht Geduld und Humor wecken, sondern Urteile und die Suche nach dem Liebesversager. Sie gleichen dann Entzugserfahrungen Süchtiger, mit der bösen Komplikation, dass das Rauschmittel einst so köstlich wirkte und heute der einstige Lieferant behauptet, nichts mehr vorrätig zu haben. Der Vorwurf an den Partner, schuld zu sein an einem Liebesmangel, weckt Gegenvorwürfe, gewiss nicht das ersehnte Zurückschmelzen in den verlorenen Liebeszustand.
Inmitten dieser drohenden Tristesse ersinnt Oberon für Titania und sich eine radikale, gänzlich überraschende Kur. Er setzt nicht auf Vernunft, Disziplin und Kompromiss, sondern auf Verwirrung und Eskalation. Die Liebe soll nicht verwaltet werden, es geht nicht um ein Schiedsgericht, sondern um heillose Steigerung und den Beweis der unwiderstehlichen Macht von Cupidos Pfeilgift über Sterbliche und Unsterbliche. Die Elben beobachten die Menschen und spielen mit ihnen. Titania aber gerät mitten in das Theaterstück über Pyramus und Thisbe.

Wenn die Elfenkönigin mit schmeichelnder Bewunderung den Esel anschwärmt, ist das Wunder geschehen: die Liebe macht das Hässliche schön. Den Alltag der Ehe machen nicht Disziplin und Vernunft erträglich, sondern der Glaube, dass wir – aus Träumen erwacht – auch wieder in den Traum zurückfinden werden, dass es einen Menschen gibt, der ganz anders ist als ich und mir doch ganz nah. Der Sommernachtstraum streift wie jede gute Komödie immer wieder das Tragische, ohne doch den Kurs zu verlieren. Am Ende sind alle gestürzt und wieder aufgestanden, haben Angst erlebt und wieder zurück gefunden – entweder am eigenen Leib oder doch, wie wir Zuschauer auch, in der Beobachtung des fremden Glücks, der fremden Verwirrung. Die glückliche Ehe hat sich vom Glauben an das dauernde Glück verabschiedet, ihre Partner haben die Erfahrung gemacht, dass man sich auch in der Enttäuschung aneinander trösten kann und so wieder zusammen findet.

Dieser Essay ist eine Auftragsarbeit für das Programmheft für William Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ in der Aufführung der Salzburger Festspiele vom 19. Juli bis 1. September 2013. Das Stück wurde mit der Bühnenmusik von Felix Mendelssohn Bartholdy von Henry Mason inszeniert.

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