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Freunde bleiben, Feinde werden?

Seelenzustände nach Trennung und Scheidung

Das Dilemma der modernen Paare lässt sich so zusammenfassen: Sie müssen den Partner, diesen Träger egoistischer Interessen und nicht erkannter Prägungen, auch dann als Richter akzeptieren, wenn sie ihn als Henker erleben. Mit ihm zusammen, in einer Zweierherrschaft, vergleichbar jener in der römischen Republik, können sie durchaus ersetzen, was früher in Krisensituationen die Normen der Sippe anboten: etwas Drittes, das schlichtet, wenn die Affekte zwischen den Liebenden nicht in Harmonie gedeihen.
In der Paartherapie wird in der Regel der Therapeut als Richter gesucht. Er soll entscheiden, wer in dem zerfallenen Zustand des Zweiergerichts Henker ist, wer Richter. Wenn er seine Aufgabe erfüllen kann, wird er diesen Auftrag freundlich abweisen und das Paar überzeugen, sein Zweiergericht wieder herzustellen und seine Rituale in gemeinsamer Verantwortung neu zu gestalten. Ob das gelingt, hängt von der Fähigkeit der Partner ab, Enttäuschungen anders zu verarbeiten als durch Projektion der Schuld auf den Partner und mehr oder weniger kontrollierte Impulse, es ihm heimzuzahlen, sich an ihm zu rächen.
Die Hochzeit leugnet nach Kräften alles, was nicht hoch ist – niedrige Verteilungskämpfe, finanzielle Bedenken, Kritik am Partner. Verliebte Paare lesen sich die Wünsche von den Augen ab. Sobald das erste Kind schreit, müssen sie damit fertig werden, dass die Natur nicht auf Augenablesen setzt, sondern auf Lautstärke. Sie müssen sich neu organisieren, austauschen, unter widrigen Bedingungen ihre Erotik pflegen und Krisen gemeinsam bewältigen. Keine Kleinigkeiten.

Ich finde den Satz in den Eheversprechen, sich in guten und schlechten Tagen zu lieben und zu ehren, höchst voreilig. Genauer müsste es heißen: ich bin bereit, deine schlechten Seiten ebenso zu ertragen, wie ich mich deiner guten Seiten erfreue.

Es gibt kaum ein Ritual, das so widersprüchlich erlebt wird wie eine Scheidung. Verwunderlich ist das angesichts der Idealisierung des Partners im Eheritual keineswegs. Meist gehen Auseinandersetzungen voraus, in denen die Partner darum ringen, wer angefangen hat, schlechte Seiten zu zeigen, wer zu wenig Bereitschaft zeigt, sie abzulegen, kurzum: wer schuld ist, dass der Himmel nicht voller Geigen hängt, nicht einmal leer geworden ist, sondern Vorwürfe aus ihm niederprasseln.

Um zu heiraten, müssen sich zwei zusammentun. Für Trennung und Scheidung reicht einer. Das Wir zerfällt, selten säuberlich. Meist gibt es einen, der die Trennung will, der sie gar mit einem Aufatmen erlebt, und einen, dem seine Vorstellung vom richtigen Leben zerbricht, der sich schuldig, elend, verlassen fühlt. Ein Partner strebt in eine neue Beziehung, sein Gegenüber liegt verletzt unter den Trümmern der alten. Angesichts zermürbender Entwertungen und Schuldzuweisungen kann das Ende einer Ehe eine Erlösung sein. Aber gemessen an dem Hochgefühl des Brautpaars geht es doch immer um die ernüchternde Suche nach dem kleineren Übel.

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