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Hilfe! Eine Kleinigkeit verfolgt mich! (Oder ich sie?)

Heute, in der Schlange bei Penny – ich achte ja nicht so genau darauf, ob die Beträge auch stimmen, aber als bei der Packung mit Birnen „rote Äpfel“ aufleuchtete, sagte ich doch: das waren Birnen! Die Verkäuferin puzzelte an ihrer Tastatur, versuchte vergeblich, die Tüte so in den Scanner zu quetschen, dass er erkennend piepte, gab schließlich einen Code ein. Als sie die Summe nannte, wunderte ich mich kurz, aber ich wollte die Schlange nicht noch einmal aufhalten, zahlte und ging. Zuhause aber griff ich doch nach dem Kassenbon, – und in der Tat: da standen die roten Äpfel, 2.45 Euro, die Birnen 1.89,und ich hatte nur die Birnen!

Ich ärgerte mich. Zurückfahren, vielleicht erinnerte sich die Verkäuferin noch? Aber das waren die 2.45 Euro nicht wert, soviel Zeit und Kraft aufzuwenden. Ich beschloss, den Irrtum zu ignorieren.
Ich verdiene gut und kaufe – wie die Szene lehrt – in der Regel nicht teuer ein. Auch zehn solche Versehen würden mir nicht wirklich wehtun. Dennoch konnte ich die Sache nicht vergessen und fing daher an, das Psychologenhirn anzuwerfen. Nein, es war nicht der materielle Verlust! Es war die narzisstische Kränkung. Ich hatte nicht aufgepasst. Ich war nicht wehrhaft genug gewesen, angesichts der ständig drohenden Gefahren in unserer Welt ein Zeichen, dass ich nicht so genau, so fit, so schnell, so achtsam war, wie es mein Selbstbild verlangte. 2.45 Euro sind eine Kleinigkeit; ein Versager zu sein vor dem Ideal des fitten Zeitgenossen gewiss keine.
Als ich noch diesem Gedankengang nachhing und ihn damit verknüpfte,dass er vielleicht mit dem Älterwerden zu tun hat, kreuzte ein anderer Gedanke diese Bahn. War ich nicht verteufelt kleinlich, ja geizig, dass ich nicht aufhören konnte, mich über diesen lächerlichen Betrag aufzuregen, dass ich mir Gedanken machte, ob jetzt der Penny-Konzern oder die ungeschickte – oder vielleicht gar tückisch-berechnende – Kassiererin meine 245 Cent einsackte?
Warum fand ich nicht schneller in die Entspannung zurück? Sich über solche Nadelstiche zu ärgern, sich den Kopf zu zerbrechen, das war doch wirklich nicht großzügig, nicht großmütig, nicht ausgeglichen, wie ich es sein wollte, schon um keinen hohen Blutdruck zu haben – wann hatte ich nun den zuletzt messen lassen? Schon lange her, viel zu lange!
So kann eine Angst der anderen die Hand reichen: die Angst vor Kontrollverlust der Angst vor moralischem Versagen der Angst vor dem Schaden an der Gesundheit. Die Leserin, der Leser sehen: ich schreibe nicht nur über Ängste, behandle sie nicht nur, ich habe sie auch, immer wieder, mehr als mir lieb ist. Und wenn es mir schon so schwer fällt, den Mini-Piekser der 245 Cent für nicht erhaltene rote Äpfel zu vergessen, ist das doch hilfreich, sich in die Menschen einzufühlen, die mit ihren absurden Ansprüchen sich und andere quälen. Von ihnen können wir täglich in den Zeitungen lesen.

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