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Harmlos ist die Beschneidung nicht

- sie wird nur von Interessengruppen so dargestellt

Über seelische Verletzungen wird selten jemand unterrichtet, dem es Bedürfnis ist, diese zu ignorieren. Es ist schon merkwürdig, wie unterschiedlich die Meinungen hier ausfallen – von schweren Schäden bis zu gar keinen Folgen reichen die Berichte, die wir gegenwärtig in den Medien finden. Sicher haben viele Beschnittene keinerlei Probleme. Wenn Einzelfälle belegbar sind, sollten wir das aber ernst nehmen.

Herr Schilling irrt sehr, wenn er mir unterstellt, ich würde allein aus den eigenen psychoanalytischen Erfahrungen heraus argumentieren. Anscheinend hat er die einschlägige Literatur nicht zur Kenntnis genommen; in den USA gibt es Standardwerke zu diesem Thema, z.B. Ronald Goldman, „Circumcision – The Hidden Trauma“ (Vanguard Publications, Boston, 1997) und David L. Gollaher, „Circumcision: A History of the World’s Most Controversial Surgery“ (Basic Books, New York, 2001).

Wenn Schilling dann auf das Feld der Psychoanalyse vordringt und ein bei Kindern verbreitetes, ganz normales Phänomen wie die Kastrationsangst eine „Neurose“ nennt, kann ich ihm diese Ahnungslosigkeit nicht übel nehmen. Vielleicht liegt es ja für Urologen nahe, Kastrationsängste als Neurose anzusehen. Ich möchte allerdings den Vorwurf zurückgeben, unwissenschaftlich erhobene Befunde in einem Massenmedium zu verbreiten. Wie wissenschaftlich ist denn nun Schillings These, die Vorhaut sei überflüssig, seit wir nicht mehr nackt in Dornen waten?

Eugen Bleuler hat uns mit dem autistisch-undiszplinierten Denken in der Medizin vertraut gemacht. Ein Hinweis in dieser Richtung sind Argumente, Eingriffe „mit einem speziellen Messer in Sekundenschnelle“ seien harmlos. Für den, der das Messer hält, ganz gewiss. Nicht aber für den, der geschnitten wurde. Seine Heilung kann lange dauern, es kann Blutungen geben (wie in Köln) oder Infektionen. Narben bleiben zurück und der Schmerz kann sich in das Gedächtnis einbrennen. Wie heißt es doch in der ärztlichen Ethik: Zuerst einmal nicht schaden, primum nil nocere.

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Freuds Söhne – Ein Nachdenken

Für beide der obenstehenden Artikel in der SZ habe ich fast gegen meine Erwartung mehr anerkennende als kritische Reaktionen bekommen. Ich hatte mich vor Jahren in einem Buch über sexuelle Traumatisierungen gründlicher mit dem Thema befasst und war empört, wie selbstgewiss und oberflächlich manche Aussagen daherkamen. Freilich eine Verführung, auch selbstgerecht zu werden.

Bewegt hat mit der Brief eines befreundeten Juden, eines jungen Vaters, der meine Aussagen verletzend empfand und sie gegen seine Kultur und Religion gerichtet sah. Ich erinnerte mich, wie wir auf einem Gartenfest zusammen auf einer Decke saßen und sein Sohn mit meinem Enkel spielte. Die Kränkung, die eine allgemeine Analyse im Einzelfall anrichten kann, wurde in dieser Erinnerung konkret und machte mir zu schaffen.

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