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Die Macht der Religion (Teil 1)

Dem Apostel Paulus und dem Propheten Mohammed wird eine solche Form der Epilepsie nachgesagt. Solche Formen der Epilepsie werden durch einen Defekt im limbischen System „gezündet“. Diese Struktur im Gehirn hat eine religionspsychologisch interessante Forschungsgeschichte. Seit dem Dionysos-Kult der Antike wissen wir, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Religion und jenem Zustand gibt, den wir als „Raserei“ bezeichnen und dessen Träger die jedem Freund der griechischen Kunst wohlbekannten Mainaden (die Rasenden) sind, deren Tanz wir auf antiken Sarkophagen sehen. Ein Zug der Dionysos-Mythen hat eine Tragödie von Euripides „Die Bakchen“ inspiriert. Darin schildert der Dichter eine tollwütige Raserei, in der die vom Gott erfüllten Anhängerinnen die Gegner des Kultes zerfleischen und in Stücke reißen. Eines dieser Opfer war Pentheus, der König von Theben, der von seiner eigenen Mutter Agaue und ihren Schwestern im heiligen Wut-Wahn zerrissen wurde. Die „Symptome“ der rasenden Anhängerinnen des Bacchus-Kultes lassen sich als Freisetzung der im Patriarchat unterdrücken weiblichen Aggressionen deuten. Aber es gibt einen neurologischen Zusammenhang, der sie mit zwei auf den ersten Blick weit voneinander entfernten Phänomenen verknüpft: den Symptomen der Tollwut und dem Gotteserleben der Personen, die unter einer Schläfenlappen- Epilepsie leiden. 1935 wollte der französische Anatom James Papez die Frage ergründen, weshalb Patienten, die an Tollwut sterben, in den Stunden vor ihrem Tod die heftigsten Emotionen von Wut und Angst durchlebten. Er vermutete, dass ein Erreger im Speichel der Hunde in das Nervengewebe eindringe und auf diesem Weg die Gehirnzentren erreiche, die für die menschlichen Leidenschaften zuständig sind. Diese Macht des Tollwut-Virus ist ein erstaunliches Dokument, welche grausamen Wege die Evolution einem winzigen Parasiten ermöglicht. Der gebissene Artgenosse – Fuchs, Wolf oder Hund – wird durch das Vordringen des Virus zum Werkzeug gemacht, das am Ende nicht anders kann, als durch „tollwütige“ Bisse das Virus weiter zu verbreiten. Um das zu ermöglichen, muss das Virus jene Hirnstrukturen zuerst befallen, die das aggressive Zubeißen stimulieren, den Rest des Nervensystems aber so lange schonen, dass das Opfer beweglich und kräftig genug bleibt, um diesen Auftrag zu erledigen. Beim Menschen, der so wenig in den Plan des Virus gehört wie ein Pflanzenfresser, ist das wichtigste psychische Symptom des Tollwutkranken nicht die bissige Wut, sondern schreckliche Angst vor den quälend aufsteigenden, sinnlosen Aggressionen, die das Selbstbild erschüttern. Papez gelang es, das Zielgebiet des Tollwut-Virus im Gehirn der Opfer zu finden: Es war jene Struktur, die schon lange vorher Pierre Paul Broca (der Entdecker eines der „Sprachzentren“) „limbisches System“ii genannt hatte. Es liegt an der inneren Grosshirnrinde, verbindet eine Reihe von Zellhaufen und ist nach den Beobachtungen an Schlaganfallpatienten und Tollwutopfern weder für die Bewegungen der Muskulatur noch für die Wahrnehmungen der Sinnesorgane zuständig, sondern für die mit den Sinneswahrnehmungen verknüpften „Bedeutungen“ im Sinn von deren affektiver Tönung und Verankerung in der Persönlichkeit.

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