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Der Stoff aus dem Propheten sind

Stellen wir uns vor, ein an sich unscheinbarer, weder durch besondere Schönheit, noch durch einen großen Namen, Reichtum oder akademischen Rang ausgezeichneter Mann sucht die Aufmerksamkeit einer Tischgesellschaft. Er wünscht sich viel Beachtung, muss aber die schmerzliche Erfahrung machen, dass sich die Zuhörer bald ein anderes Thema suchen – eines, in dem dramatische Ereignisse oder wichtige Personen eine Rolle spielen.
Wenn dieser Mann nun klug genug ist, solche Geschichten in seinem Gedächtnis zu speichern, und so sprachbegabt, dass er sie flüssig mit kleinen Abwandlungen erzählen kann, dann wird er vielleicht einmal probieren, ein interessantes, aber erfundenes Erlebnis in seine Erzählung über sich selbst einzubauen.
Wenn er bemerkt, wie viel aufmerksamer ihm die anderen zuhören, wie viel mehr ihre Augen leuchten und sie an seinen Lippen hängen, wird er diese Versuche steigern und gleichzeitig die Überzeugung aufbauen, die Zuhörer seien in Wahrheit seine Komplizen, sie wollten belogen werden, die Lüge sei ihnen lieber und schätzenswerter als die Wahrheit.
Diese primitive Suche nach Selbstbestätigung kann im Grund nie zu Ruhe kommen. Sie ähnelt urtümlichen Knochenfischen wie dem Hai, der auch ständig vorwärtsschwimmen muss, um nicht zu ersticken. Da man, um taugliche Lügen zu erfinden, mindestens durchschnittlich intelligent sein muss – Karl May gehörte sicher zu den Hochbegabten – wird die erlogene Geltung ständig von Selbstkritik zersetzt und muss gesteigert werden.
In der Pseudologie wird eine depressive Erniedrigung und Vernichtung des Selbstgefühls manisch abgewehrt. So ist auch das Bedürfnis nach erfundenen Aufwertungen unersättlich. Der hektische narzisstische Appetit von Karl May zeigt sich in den zahllosen Variationen, in denen er immer wieder siegen, überzeugen, sich als den geistig, moralisch, religiös, an Körperkräften und Zielsicherheit überlegenen erweisen muss.
Er gewinnt jeden Wettbewerb, ob es um Kriegslist, Anschleichen, Schießen, Fechten, Boxen, Ringen, Seemannskunst und Musik geht, er lernt binnen Tagen auch den entlegensten Eingeborenendialekt. Aber das alles reicht nicht, er braucht stets neue Überlegenheiten.
Hubbards Karriere ähnelt der von Karl May, doch war er ein weit schlechterer Romancier und ein weit entschlossener Religionsstifter.
Wie Karl May begann auch Hubbard mit den sogenannten „Heftchen“- oder „Groschen“-Romanen („pulps“ nach dem billigen Papier, auf dem sie gedruckt waren). Er veröffentlichte 1934 seine erste Abenteuerstory, The Green God (Der grüne Gott). Er produzierte 10 Seiten am Tag. Alle Genres wurden bedient: Western, Liebe, Detektiv- und Zukunftsroman. Um die Leser von der Fährte des Vielschreibers zu locken, der sich notgedrungen wiederholt, benutzt Hubbard Peudonyme, die viel über seine Stoffe und seine Sehnsucht aussagen, ein heroischer Soldat zu sein.