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Mobbing zum Leben?

In Deutschland dominieren in den Aussagen der Experten die Ängste, dass Scharen von Menschen aus dem Leben desertieren oder gar von Angehörigen aus ihm vertrieben werden, wenn den Ärzten nicht strikt verboten wird, in diesem Bereich ihrem Gewissen zu folgen. Die Ursache liegt wohl in den stärker verwurzelten militaristischen und autoritären Traditionen hierzulande.

Angesichts der Militärtribunale, die Soldaten hinrichten ließen, weil sie ihren „Heimatschuss“ nicht dem Feind, sondern der eigenen Hand verdankten, ist das deutlicher als im Grenzgebiet der Palliativmedizin. Eine militärische Führung, die sich angesichts des Deserteurs keine Gedanken über ihr eigenes Versagen macht, würden wir heute kritisieren.

Eine Medizin, die mit verbaler Härte gegen Ärzte vorgeht, die nicht von vornherein zu wissen glauben, dass sterbewillige Kranke nur noch nicht intensiv genug behandelt worden sind, kann sich besser hinter hohen Idealen verbergen. Demokratischer wäre es, der Menschlichkeit der Laien zu vertrauen. Nichts spricht dafür, dass das Mobbing Pflegebedürftiger in den Tod um sich greifen wird, wenn Ärzte nicht mehr Dämme bauen und Juristen Bollwerke halten.

Wir könnten es mündigen Bürgern zutrauen, im Gespräch würdige Lösungen zu finden, sich nach allen Seiten zu öffnen und sich  angstfrei in dem Zwischenreich von Leben und Tod zu orientieren. Einzelne sind damit überfordert. Aufeinander einfühlend bezogene Menschen hingegen können Lösungen finden – für sich, für ihre Angehörigen, für die Experten. Ihnen solche Lösungen zu kommandieren, schadet mehr, als es nützen kann.

(Artikel erschienen in: Psychologie heute, 12/11)

Literatur

Gay,Peter, Freud. Eine Biographie für unsere Zeit. Frankfurt (Fischer) 1987

Institut f. Rechtswissenschaft Univ .St. Gallen (Hsg.), Sterbehilfe im Fokus der Gesetzgebung. Tagungspapiere  v. 4.9.2008, Kongresshaus Zürich

Jones, Ernest, Das Leben und Werk von Sigmund Freud. Bd. 3: Die letzte Phase 1919-1939. Bern/Stuttgart: (Hans Huber) 1962.

Molnar, Michael  (Herausgeber), Sigmund Freud: Kürzeste Chronik. Tagebuch 1929-1939. Übers. v. Christfried Tögel. Frankfurt (Stroemfeld) 1996.

Schur, Max, Sigmund Freud – Leben und Sterben. Frankfurt (Suhrkamp) 1973

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