Vortrag
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Das Unbewusste und der Wald

Vortrag auf der Tagung: Blätterwald – Wald in den Medien

Ähnlich der Wald: wenn wir zu tief in ihn geraten, er uns zu sehr umschließt und wir in seiner Düsternis den Überblick verlieren, treibt es uns aus ihm heraus. Wenn wir dann fern von ihm, ohne Schutz, ohne die grüne Vielfalt leben, zieht es uns wieder hinein. Am Ende schlagen wir unseren Wohnsitz am Waldrand auf, noch im Schutz der Bäume, aber mit einem Blick ins Freie. Und dann lesen wir bei einem kenntnisreichen britischen Biologen mit dem Namen Vernon Reynolds , dass gerade hier, am Waldrand, der entscheidende Schritt zur menschlichen Evolution stattgefunden hat. Hätten wir den Wald nie verlassen, dann wären wir nie zu den geschickten Fussgängern geworden, die in der Spezies Homo herangereift ist.

Die Savanne öffnete den Blick in die Weite und auf die Beute; der Wald spendete Zufluchtsmöglichkeiten und pflanzliche Nahrung. So bildete sich die menschliche Ur-Gesellschaft der Jäger und Sammler am Waldrand.

Reynolds beschreibt die Vormenschen, die am Waldrand siedelten, als vielseitige und intelligente Wesen im Übergangsfeld zwischen Affe und Mensch. Sie konnten auf zwei Beinen schnell laufen und geschickt hangeln, sie waren auf dem Boden zuhause, wo sie Wurzeln ausgruben und Insekten suchten, aber auch in den Baumkronen, wo sie Früchte pflückten. Neugierige Männchen gingen immer weiter in die Savanne und jagten dort nach kleinen Tieren oder trieben mit Stöcken und lautem Gebrüll Raubtiere von ihrer Beute. Daraus entwickelte sich ein kooperatives Verhalten der Männer und schließlich auch die für andere gruppenlebende Primaten ungewöhnliche Paarbindung: Es war günstig für den Nachwuchs, wenn der Mann abends in den Schutz der Bäume zurückkehrte, und eine Frau war der Magnet, die sich an ihn gebunden hatte, wie sie es bisher an ihre Kinder tat.

Die typische Hominidenfamilie im Tier-Mensch-Übergangsfeld war also nicht das tyrannische Männchen im Modell von Darwin und Freud, das alle erreichbaren Weibchen monopolisierte. Es war die um eine Mutter und ihre Nachkommen zentrierte Gruppe, die am Waldrand siedelte. Die Männer zogen hinaus in die Steppe, tauchten ab und zu auf, brachten Beute mit.

In Bruce Chatwins Buch über die australischen Aborigines steht der Satz: Die Zukunft der Menschheit wird asketisch sein, oder sie wird nicht sein. Wer sich mit Lebensformen beschäftigt, die viele Jahrtausende stabil bleiben, kommt zu diesem Ergebnis. Das Modell, das uns selbst nahe liegt, sind nicht die Jäger und Sammler der Altsteinzeit, an die Chatwin seinen Paradiesmythos bindet. Es sind unsere bäuerlichen Ahnen. Vor der Machtübernahme durch die Industrialisierung und dem Einzug der Fremdenergie in die Gehöfte lebten sie nicht anders als viele Generationen vor ihnen. Die Sensen und Sicheln, mit denen vor hundert Jahren noch der Bauer hantierte, haben sich in Jahrtausenden kaum verändert.

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