Vortrag
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Die Illusionen über das Gegenüber und die virtuelle Welt

Ich besass es doch einmal was so köstlich ist dass man doch zu seiner Qual nimmer es vergisst!
Goethe, Mignon

Die grenzenlose, rasende Sehnsucht, welche der Dicher schildert – ist sie Erinnerung an leibhaft Besessenes oder Suche nach perfekter Erfüllung, die reale Leere ausgleicht? Die Erfahrungen aus der Analyse weisen in die zweite Richtung. Menschen, die sich in aussichtslosen Liebschaften verzehren, machen – genauer betrachtet – Aussichtslosigkeit zur Bedingung ihrer Verliebtheit. Drei Viertel der auffälligen Stalker sind Männer. Ich bin aber überzeugt, dass eine einseitige, verfolgende Verliebtheit bei Frauen nicht seltener ist, im Gegenteil. Sie ist jedoch unscheinbarer und stärker schambesetzt, fällt daher erheblich weniger auf, wird in den meisten Fällen sogar mit großen Anstrengungen verheimlicht. In der therapeutischen Praxis begegnet man nicht selten einsamen Frauen, die erst nach langem Zögern verraten, dass ihr Liebesleben um einen Mann zentriert ist, der davon nicht das Geringste weiß. Männliches Stalking richtet sich nach außen, es fällt auf, belästigt das Opfer.

Weibliches Stalking richtet sich nach innen, es findet in der Phantasie statt und wird extrem selten so aggressiv wie in dem Filme „Eine verhängnisvolle Affäre“: Als sich der New Yorker Rechtsanwalt Dan Gallagher (Michael Douglas) von der Lektorin Alex Forrest (Glenn Close) verführen lässt, tut er es in dem Glauben, nach einer kurzen Affäre sein Bilderbuch-Familienleben weiterführen zu können. Wie er sich irrt, wie er am Ende Frau und Kind an eine bösartige Verfolgerin zu verlieren droht, zeigt der von Adrian Lyne spannend inszenierte Thriller. Stalker, die eine berühmte Person verfolgen, wollen an deren Ruhm teilhaben, indem sie sich mit ihr identifizieren. Sie können, wie der Mörder von John Lennon, schließlich auch versuchen, sie von der Bühne zu schiessen, um an ihrer Stelle berühmt zu werden.

Wann ein solcher Verfolger von der Bewunderung in die Aggression kippt, ist von außen nicht leicht zu erkennen und schwer zu beeinflussen, da sich der Stalker in einer Phantasiewelt verkapselt hat. Stalkern fällt es schwer, sich für andere Menschen zu interessieren und sich in deren Situation einzufühlen. Sie setzen ihre Realitätsorientierung außer Kraft, wenn es um ihre „Liebe“ geht, während sie sonst durchaus angepasst leben und beruflich sogar sehr erfolgreich sein können. Nur in ihren intimen Beziehungen sind sie gescheitert. Die Wünsche und Gefühle ihrer Opfer werden durch innere Bilder der Stalker ersetzt.

Zurückweisung heißt beispielsweise, dass die Geliebte gegen eine übergroße Leidenschaft ankämpfen muss. Rückzug bedeutet, dass sie sich erst über ihre Gedanken klar werden möchte, die selbstverständlich voller Leidenschaft für den Täter sind. Holt eine Verfolgte die Polizei, signalisiert das, dass sie einem Durchbruch zu ihrem wahren Selbst so nahe ist, dass sie zu verzweifelten Mitteln greifen muss. In den Medien wird über Stalking fast immer von einem dramatischen Ausgang her erzählt. Solche extremen Ereignisse erschweren eher das Verständnis für die durchschnittlichen Fälle. Ein Stalker, der sein Opfer ermordet, ist außerordentlich selten. Suizid des Stalkers ist sehr viel häufiger; in einem Fall erhängte er sich, während er mit dem Opfer telefonierte. In den meisten Fällen geben Stalker wieder auf. Man würde gerne hinzusetzen: ohne Schaden angerichtet zu haben. Das ist aber nicht der Fall, auch wenn der Stalker nie tätlich wird. Stalking ist für das Opfer seelisch höchst belastend. In seiner Folge sind Ängste, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen beschrieben worden.

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